Revier -
Du spröde Schönheit.
Zur Ausstellung
von Ute Hoeschen
Sehr geehrter Herr Schwarze, liebe Frau Hoeschen,
werte Kunstfreunde,
ich begrüße Sie zur Ausstellung "Revier
- Du spröde Schönheit" mit Werken der Hammer Künstlerin
Ute Hoeschen in diesem historischen Verwaltungsgebäude des
Bergwerk Ost.
Kohle, Holz, Öl und Stahl sind nicht nur das Blut und die Knochen
des alten Reviers, sondern können in geschickten Händen
auch zu Rohstoffen für Kunstwerke im neuen Ruhrgebiet werden,
wo Kulturzentren und neue Industriegebiete in stillgelegte Förderstandorte
wie z.B. Zeche Zollverein eingezogen sind.
Dieser Struktur-, ja Identitätswandel von der Schwerindustrie
zu Stätten für Kunst und Kultur ist das Thema der aktuellen
Arbeiten der Hammer Künstlerin Ute Hoeschen.
Genialität besteht nach Thomas Alva Edison zu 1% aus Inspiration
und zu 99% aus Transpiration. Vor den Erfolg haben die Götter
den Schweiß gestellt. Was für naturwissenschaftliche
Erfindungen und Industriearbeit gilt, trifft auch in der Kunst zu,
zumal wenn zwischen dem Zündfunken einer Idee und dem fertigen
Werk das Abarbeiten an so sperrigen Materialien steht, wie es sich
Ute Hoeschen zur Aufgabe gemacht hat.
Wer die zierliche Person sieht, mag verwundert sein, dass gerade
sie diese schweißtreibende Männerdomäne der ehemaligen
Hochöfen und Stahlwerke zum Zentrum ihrer Werke wählt.
Doch wer Ute Hoeschen kennt, weiß um ihre beharrliche Neugier
und ihre unermüdliche Experimentierfreude, wenn sich ihre Begeisterung
an einem Thema entzündet hat. Eine Region im Umbruch. Diesen
Wandel in stimmige Bilder zu fassen, ist das Leitmotiv von Hoeschen,
die Triebfeder für ihre Arbeiten, von den wir in dieser Ausstellung
Zeichnungen, Holzschnitte und Gemälde sehen. Der spröde
Charme verlassener Zechen, Kokereien und Stahlwerke ist die Inspiration,
sich mit dem Wesentlichen zu befassen: Zerfall, Morbidität
und Vergänglichkeit einzelner Fragmente der Industriekultur;
aber auch Größe, Fläche und Farbe, die sich dort
finden. Inspirationsquelle ist die erhabene Schönheit verlassener
Zechen mit ihren gigantischen Hallen und Apparaturen. Wer diese
archaisch-unwirklich anmutenden Stätten betritt, taucht ein
in eine vergangene Welt voller Riesenmaschinen, mannshoher Rohre,
armdicker Schrauben - überzogen von der Patina der Vergangenheit.
Hoeschen lässt die besondere Atmosphäre der Orte auf sich
wirken, schaut genau hin. Der Künstlerin stellte sich die Aufgabe,
wie diese Eindrücke in überzeugende Werke zu gießen
seien. Am Beginn steht die Anschauung und die Abbildung des Sichtbaren.
Rasch skizzierte Zeichnungen von Bessemerbirnen, Armaturen, Hochöfen
und anderen Gerätschaften entstanden vor Ort in Industriebrachen
wie Heinrichshütte Hattingen oder Zeche Zollverein. Doch schnell
wird ihr klar, dass die gleichsam dokumentarische Wiedergabe nur
ein erster Schritt sein kann (weswegen die Zeichnungen hier auch
nicht ausgestellt sind).
Der zweite große Bereich ist die Druckgraphik. Entsprechend
der Thematik wählte Hoeschen das widerständig robuste
Material Holz, das sie u.a. mit einer Kettensäge künstlerisch
bearbeitete. Ihm solche Werke wie das hier gezeigte großformatige
Blatt "Förderturm" abzuringen, erfordert einen entschlossenen
und überlegten Arbeitsaufwand, da beim Schneiden der Holzplatten
kaum Fehlerkorrekturen möglich sind. Die Struktur des Materials
spricht bei dem Ergebnis mit.
Erlauben Sie einige technische Erläuterungen zum Verfahren:
Beim Weißlinienholzschnitt dient die Farbe der Form. Die Komposition
aus jeweils herausgearbeiteten Farbflächen pro Druckvorgang
erfordert ein besonderes Raumgefühl und Vorstellungsvermögen
bereits bei der Entstehung, da die Motive der einzelnen Druckstöcke
zusammenpassen müssen. Anders als beim traditionellen Holzschnitt,
bei dem alle Partien weggeschnitten werden, die nicht drucken sollen,
erlaubt die Methode des künstlerischen Drei-Platten-Holzschnittes
eine filigranere Linienführung und fast malerische Effekte,
da hier auch helle Farben deckend über dunkle gedruckt werden
können und somit die eingebrachten Linien direkt erscheinen
und je nach Intensität des Farbauftrages Teile der darunter
liegenden dunkleren Passagen durchschimmern.
Eine Kombination aus abstrakten und gegenständlichen Motiven
zeigt der aus mehreren Druckstöcken bestehende Holzschnitt
"Bergmann". Energetische Linienbündel und erdige
Farben erzeugen den Eindruck einer atmosphärisch dichten Untertagesituation,
zu der im scharfen Kontrast das klar konturierte Portrait eines
Kumpels mit Grubenlampe auftaucht. Die Gegenüberstellung von
Chaos und Ordnung mag als abstraktes Symbol für die ambivalente
menschliche Existenz, für den Kampf widerstrebender Kräfte
und Entwicklungen stehen. Übrigens handelt es sich bei allen
Graphiken um Unikate und Handabzüge der Künstlerin selbst.
Die dritte hier gezeigte Werkgruppe umfasst die Gemälde in
Mischtechnik. Wir kehren gedanklich zurück in die großen
Hallen der Industriebrachen. Die Spuren des Wandels findet sie schließlich
dort auf den Oberflächen der Gegenstände. Sie entdeckt
die Chancen, das Gesehene umzuwandeln, in eine eigene Bildsprache
zu packen.
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Das gestrichene, verdreckte, angerostete und immer wieder
gestrichene Metall birgt in seinen unzähligen Schichten
die Sedimente der Zeit. Ein Rhythmus, ja Kreislauf von Arbeit,
Abnutzung und Wiederherstellung, der nun zwar zum Stillstand
gekommen ist, aber dadurch zum beredten Archiv einer abgeschlossenen
Epoche wird. Ute Hoeschen transformiert die herbe Schönheit
der Industriekultur, diese Ästhetik von Schmutzablagerungen,
Farbresten und gewaltigen Raumdimensionen in ihre eigene Bildsprache.
Wir finden hier die subtil lasierten wie auch pastosen Farbschichten
wieder, die fein differenzierten Strukturen aus Linien und
Ritzungen, zu denen auch kaum sichtbare, von Rost angefressene
Schriftzüge gehören. Damit zeigen sie uns den schichtweisen
Bildfindungsprozess, denn auch die Mischtechnik in Hoeschens
Malprozess ist durch den tastenden Farbauftrag, die Wegnahme
von Material, Übermalung und das Einbringen von fremden
Strukturen und Substanzen wie Sand, Asche, Rost, Bitumen,
TH7, Mennige oder Zinkbleche geprägt. Das erzeugt eine
haptische reliefartige Oberflächen, eine fast mit Händen
zu greifende Intensität.
Neben dieser formalen Analogie besitzen die Bilder auch eine
inhaltliche Entsprechung: Sie verdeutlichen den Verfall, die
Erosion, die Vergänglichkeit auch und gerade von Größe,
Stärke und Schönheit. Letztlich führen sie
uns unsere eigene Endlichkeit vor Augen. Dennoch gibt es einen
entscheidenden Unterschied: Aufbau, Veränderung, Überarbeitung
und Infragestellung enden beim Malen damit, dass der Künstler
bzw. die Künstlerin bestimmt, dass ein Bild fertig ist.
In der Realität geht der Verfall weiter.
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Die Gemälde in Mischtechnik muten zwar abstrakt
an, übersetzen aber vielmehr das Gesehene und sind erweitert
um Empfundenes. Warme, tiefe, dunkle Farben stehen neben leuchtenden;
rostige Erdtöne kontrastieren neben strahlendem Blau. Das Spiel
der Farben, die Abstraktion ist kein dekorativer Selbstzweck, sondern
verwandelt und verdichtet die Natur und die Empfindungen ihr gegenüber.
Hoeschen schafft in ihren wunderbaren Werken eine Welt, die zwar
ihre Inspiration aus der Realität des Ruhrgebietes schöpft,
deren Ergebnisse aber einer eigenen Gesetzmäßigkeit folgt,
auf die sich die Betrachter einlassen sollen.
Formen, Farben und Materialien stehen für die Transformation
und Erosion, die Intensität von Verfall, der selbst an den
gewaltigsten "Kathedralen der Schwerindustrie" nagt. Damit
sind ihre Bilder Teil des regionalen Gedächtnisses, um die
Erinnerung an die beinahe verschütteten Wurzeln des Reviers
auch für folgende Generationen lebendig zu erhalten.
Glück auf!
Dr. Roland Seim M.A.
Kunsthistoriker und Soziologe
Zur Website der Künstlerin beim Kunstforum Hamm
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