Ausstellungseröffnungsrede für Ute Hoeschen

 

am 11. November 2006 im Bergwerk Ost in Hamm-Pelkum

Revier - Du spröde Schönheit.

Zur Ausstellung von Ute Hoeschen

 

Sehr geehrter Herr Schwarze, liebe Frau Hoeschen, werte Kunstfreunde,

ich begrüße Sie zur Ausstellung "Revier - Du spröde Schönheit" mit Werken der Hammer Künstlerin Ute Hoeschen in diesem historischen Verwaltungsgebäude des Bergwerk Ost.

Kohle, Holz, Öl und Stahl sind nicht nur das Blut und die Knochen des alten Reviers, sondern können in geschickten Händen auch zu Rohstoffen für Kunstwerke im neuen Ruhrgebiet werden, wo Kulturzentren und neue Industriegebiete in stillgelegte Förderstandorte wie z.B. Zeche Zollverein eingezogen sind.

Dieser Struktur-, ja Identitätswandel von der Schwerindustrie zu Stätten für Kunst und Kultur ist das Thema der aktuellen Arbeiten der Hammer Künstlerin Ute Hoeschen.

Genialität besteht nach Thomas Alva Edison zu 1% aus Inspiration und zu 99% aus Transpiration. Vor den Erfolg haben die Götter den Schweiß gestellt. Was für naturwissenschaftliche Erfindungen und Industriearbeit gilt, trifft auch in der Kunst zu, zumal wenn zwischen dem Zündfunken einer Idee und dem fertigen Werk das Abarbeiten an so sperrigen Materialien steht, wie es sich Ute Hoeschen zur Aufgabe gemacht hat.

Wer die zierliche Person sieht, mag verwundert sein, dass gerade sie diese schweißtreibende Männerdomäne der ehemaligen Hochöfen und Stahlwerke zum Zentrum ihrer Werke wählt.

Doch wer Ute Hoeschen kennt, weiß um ihre beharrliche Neugier und ihre unermüdliche Experimentierfreude, wenn sich ihre Begeisterung an einem Thema entzündet hat. Eine Region im Umbruch. Diesen Wandel in stimmige Bilder zu fassen, ist das Leitmotiv von Hoeschen, die Triebfeder für ihre Arbeiten, von den wir in dieser Ausstellung Zeichnungen, Holzschnitte und Gemälde sehen. Der spröde Charme verlassener Zechen, Kokereien und Stahlwerke ist die Inspiration, sich mit dem Wesentlichen zu befassen: Zerfall, Morbidität und Vergänglichkeit einzelner Fragmente der Industriekultur; aber auch Größe, Fläche und Farbe, die sich dort finden. Inspirationsquelle ist die erhabene Schönheit verlassener Zechen mit ihren gigantischen Hallen und Apparaturen. Wer diese archaisch-unwirklich anmutenden Stätten betritt, taucht ein in eine vergangene Welt voller Riesenmaschinen, mannshoher Rohre, armdicker Schrauben - überzogen von der Patina der Vergangenheit.

Hoeschen lässt die besondere Atmosphäre der Orte auf sich wirken, schaut genau hin. Der Künstlerin stellte sich die Aufgabe, wie diese Eindrücke in überzeugende Werke zu gießen seien. Am Beginn steht die Anschauung und die Abbildung des Sichtbaren. Rasch skizzierte Zeichnungen von Bessemerbirnen, Armaturen, Hochöfen und anderen Gerätschaften entstanden vor Ort in Industriebrachen wie Heinrichshütte Hattingen oder Zeche Zollverein. Doch schnell wird ihr klar, dass die gleichsam dokumentarische Wiedergabe nur ein erster Schritt sein kann (weswegen die Zeichnungen hier auch nicht ausgestellt sind).

Der zweite große Bereich ist die Druckgraphik. Entsprechend der Thematik wählte Hoeschen das widerständig robuste Material Holz, das sie u.a. mit einer Kettensäge künstlerisch bearbeitete. Ihm solche Werke wie das hier gezeigte großformatige Blatt "Förderturm" abzuringen, erfordert einen entschlossenen und überlegten Arbeitsaufwand, da beim Schneiden der Holzplatten kaum Fehlerkorrekturen möglich sind. Die Struktur des Materials spricht bei dem Ergebnis mit.

Erlauben Sie einige technische Erläuterungen zum Verfahren: Beim Weißlinienholzschnitt dient die Farbe der Form. Die Komposition aus jeweils herausgearbeiteten Farbflächen pro Druckvorgang erfordert ein besonderes Raumgefühl und Vorstellungsvermögen bereits bei der Entstehung, da die Motive der einzelnen Druckstöcke zusammenpassen müssen. Anders als beim traditionellen Holzschnitt, bei dem alle Partien weggeschnitten werden, die nicht drucken sollen, erlaubt die Methode des künstlerischen Drei-Platten-Holzschnittes eine filigranere Linienführung und fast malerische Effekte, da hier auch helle Farben deckend über dunkle gedruckt werden können und somit die eingebrachten Linien direkt erscheinen und je nach Intensität des Farbauftrages Teile der darunter liegenden dunkleren Passagen durchschimmern.

Eine Kombination aus abstrakten und gegenständlichen Motiven zeigt der aus mehreren Druckstöcken bestehende Holzschnitt "Bergmann". Energetische Linienbündel und erdige Farben erzeugen den Eindruck einer atmosphärisch dichten Untertagesituation, zu der im scharfen Kontrast das klar konturierte Portrait eines Kumpels mit Grubenlampe auftaucht. Die Gegenüberstellung von Chaos und Ordnung mag als abstraktes Symbol für die ambivalente menschliche Existenz, für den Kampf widerstrebender Kräfte und Entwicklungen stehen. Übrigens handelt es sich bei allen Graphiken um Unikate und Handabzüge der Künstlerin selbst.

Die dritte hier gezeigte Werkgruppe umfasst die Gemälde in Mischtechnik. Wir kehren gedanklich zurück in die großen Hallen der Industriebrachen. Die Spuren des Wandels findet sie schließlich dort auf den Oberflächen der Gegenstände. Sie entdeckt die Chancen, das Gesehene umzuwandeln, in eine eigene Bildsprache zu packen.

 

 

 

Ute Hoeschen: o.T., Mischtechnik

Das gestrichene, verdreckte, angerostete und immer wieder gestrichene Metall birgt in seinen unzähligen Schichten die Sedimente der Zeit. Ein Rhythmus, ja Kreislauf von Arbeit, Abnutzung und Wiederherstellung, der nun zwar zum Stillstand gekommen ist, aber dadurch zum beredten Archiv einer abgeschlossenen Epoche wird. Ute Hoeschen transformiert die herbe Schönheit der Industriekultur, diese Ästhetik von Schmutzablagerungen, Farbresten und gewaltigen Raumdimensionen in ihre eigene Bildsprache.

Wir finden hier die subtil lasierten wie auch pastosen Farbschichten wieder, die fein differenzierten Strukturen aus Linien und Ritzungen, zu denen auch kaum sichtbare, von Rost angefressene Schriftzüge gehören. Damit zeigen sie uns den schichtweisen Bildfindungsprozess, denn auch die Mischtechnik in Hoeschens Malprozess ist durch den tastenden Farbauftrag, die Wegnahme von Material, Übermalung und das Einbringen von fremden Strukturen und Substanzen wie Sand, Asche, Rost, Bitumen, TH7, Mennige oder Zinkbleche geprägt. Das erzeugt eine haptische reliefartige Oberflächen, eine fast mit Händen zu greifende Intensität.

Neben dieser formalen Analogie besitzen die Bilder auch eine inhaltliche Entsprechung: Sie verdeutlichen den Verfall, die Erosion, die Vergänglichkeit auch und gerade von Größe, Stärke und Schönheit. Letztlich führen sie uns unsere eigene Endlichkeit vor Augen. Dennoch gibt es einen entscheidenden Unterschied: Aufbau, Veränderung, Überarbeitung und Infragestellung enden beim Malen damit, dass der Künstler bzw. die Künstlerin bestimmt, dass ein Bild fertig ist. In der Realität geht der Verfall weiter.

Ute Hoeschen: o.T., Mischtechnik

Die Gemälde in Mischtechnik muten zwar abstrakt an, übersetzen aber vielmehr das Gesehene und sind erweitert um Empfundenes. Warme, tiefe, dunkle Farben stehen neben leuchtenden; rostige Erdtöne kontrastieren neben strahlendem Blau. Das Spiel der Farben, die Abstraktion ist kein dekorativer Selbstzweck, sondern verwandelt und verdichtet die Natur und die Empfindungen ihr gegenüber. Hoeschen schafft in ihren wunderbaren Werken eine Welt, die zwar ihre Inspiration aus der Realität des Ruhrgebietes schöpft, deren Ergebnisse aber einer eigenen Gesetzmäßigkeit folgt, auf die sich die Betrachter einlassen sollen.

Formen, Farben und Materialien stehen für die Transformation und Erosion, die Intensität von Verfall, der selbst an den gewaltigsten "Kathedralen der Schwerindustrie" nagt. Damit sind ihre Bilder Teil des regionalen Gedächtnisses, um die Erinnerung an die beinahe verschütteten Wurzeln des Reviers auch für folgende Generationen lebendig zu erhalten.

Glück auf!

 

Dr. Roland Seim M.A.
Kunsthistoriker und Soziologe

 

 


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