Roland Seim
Kruzifix! Blasphemie in der Popkultur.
Ist von Blasphemie
die Rede, denken die meisten, in der weitgehend säkularen,
laizistischen Gesellschaft des 21. Jahrhunderts wäre das eigentlich
kein Thema mehr oder aber nur Sache fundamentalistisch geprägter
Mentalitäten und Staatsformen.
Doch schon ein Blick auf die USA - "God's Own
Country" - zeigt uns, welchen Einfluss Religion immer noch
selbst in westlichen Kulturkreisen besitzt. Nicht umsonst steht
auf den Dollarnoten "In God We Trust". Ich erinnere an
die Wählermacht der Evangelikalen, an den "Kreuzzug"
gegen die "Achse des Bösen", an die Streichung des
Sexualkundeunterrichts in vielen Schule sowie die Diskussion um
Darwin gegen den Kreationismus und sein angeblich Intelligentes
Design.
Auch bei uns zeigen Stichworte wie Karikaturenstreit,
Regensburger Papst-Rede, Kopftuchverbot und Idomeneo-Eklat, dass
religiöse Gefühle wieder schneller verletzt werden können.
Nicht zuletzt infolge der Globalisierung fundamentalistischen Gedankenguts
werden hierzulande Animositäten gegen die humanistischen Ideale
einer aufgeklärten Gesellschaft mobilisiert. "Man muss",
schrieb Karl Kraus, "die leichte Reizbarkeit des katholischen
Gefühls kennen. Es gerät immer in Wallung, wenn der andere
es nicht hat."
Im Folgenden möchte ich anhand von einigen Beispielen
aus den Berei-chen Film, Satire, Kunst und sonstigen populärkulturellen
Medien zeigen, was in Deutschland und anderen westlichen Demokratien
als Blasphemie in strafrechtlichen Konflikt mit der Obrigkeit kam
oder zu Protesten führte, und warum dies so war. Nicht berücksichtigen
kann ich die zahlreichen kirchenrechtlichen Maßnahmen gegen
"abtrünnige" Forscher wie Horst Herrmann, Hans Küng,
Eugen Drewermann, Uta Ranke-Heinemann etc.
Zentrale Fragen sind: Gibt es eine "Ästhetik
der Blasphemie"? Was ist der Kern solcher Gotteslästerung?
Und wo können die Grenzen liegen?
Die Gretchen-Frage "Sag', wie hälst Du's
mit der Religion", dürfte so alt sein wie das Bedürfnis
des Menschen nach Erklärung der Mysterien des Lebens. Woher
kommen wir, wohin gehen wir, und was soll das Ganze zwischendurch?,
wie Douglas Adams scherzhaft formulierte.
Ebenso alt wie die mystischen Riten der frühen
Geisterbeschwörer dürfte die sog. Gotteslästerung
derjenigen sein, die anderer Ansicht waren. Da es sich die Mehrheit
nicht mit den Göttern verderben wollte, wurden Verstöße
als Angriff auf die Überlebensfähigkeit der Gruppe gedeutet
und bestraft. Außerdem duldeten die Kleriker, die sich in
ihrem Deutungs-monopol eingerichtet hatten, keinen Angriff auf ihre
Privilegien.
Zwar ist der Gottesbegriff historisch wie geopolitisch
wandelbar, aber die Infragestellung der jeweils gültigen Normen
führt meistens zu Konflikten. Dass die Götter als rachsüchtig
imaginiert wurden, erstaunt nicht, da die Eigenschaften, die jene
Kaste ihnen zusprach, eine Potenzierung der menschlichen Eigenarten
darstellten. Patriarchen machten Götter nach ihrem Bilde. "Wenn
Pferde einen Gott hätten, dann sähe er aus wie ein Pferd".
Obwohl sich die Existenz Gottes selbst noch nicht beweisen ließ,
scheinen Humor, Toleranz und Gleichmut nicht gerade zu seinen Eigenschaften
zu gehören, sonst wäre Blasphemie als sakrale Majestäts-beleidigung
nicht der wohl älteste Grund für Zensur und Unterdrückung
von Andersdenkenden in den abrahamitischen Schriftreligionen Judentum,
Christentum und Islam. Nur die Buddhisten sehen das deutlich entspannter.
Während früher gotteslästerliche Werke
zumeist samt ihren Autoren den angeblich reinigenden Flammen übergeben
wurden, war dies zumindest in westlichen Staaten seit der Aufklärung
und der Trennung von Kirche und Staat nicht mehr ohne weiteres möglich.
In diesem Zusammenhang erlaube ich mir (mit Horst
Herrmann) den Hinweis auf die Tatsache, dass Lessing, Kant, Nietzsche
weder Staatsanwälte noch Scheiterhaufen benötigten, um
ihr Denken durchzusetzen. Von daher gesehen beweisen Gläubige
nur Schwäche: Wer nach der Polizei ruft, um seinen Gott zu
schützen, zeigt sein Gesicht.
Ebenso erstaunlich ist, dass die persönlichen
Gefühle gegenüber der nicht zu beweisenden Existenz eines
höheren Wesens des staatlichen, strafrechtlichen Schutzes bedürfen.
Denn § 166 StGB bewahrt seit der Strafrechtsreform von 1969
ja nicht Gott vor der Lästerung. Nebenbei: Ein Allmächtiger,
der von seinen Geschöpfen gelästert werden kann, ist ein
schwacher Gott. Benötigen Götter aber ihre unbefleckte
Ehre, so sollen sie sich selbst um diese kümmern. Meinte vor
2000 Jahren ein römischer Kaiser.
"Der Glaube ist schwer greifbar, ein Gefühl
auch, und wenn beides zusammenfällt, kann man eigentlich einpacken",
meinte Der Spiegel angesichts der "Popetown"-Hysterie.
Aber natürlich hat ein gepflegter Skandal auch einen nicht
unerwünschten Werbeeffekt, und mit dem Tode bedroht wie zu
voraufklärerischen Zeiten oder in orientalischen Gottesstaaten
sind die Lästerer hierzulande nicht mehr. So kommt es zwar
auch bei uns jährlich zu Dutzenden von Strafanzeigen und -prozessen,
Verurteilungen sind aber eher selten.
Kommen wir nun zu einigen Streitfällen aus der
Pop-Kultur. Beginnen möchte ich mit dem Film, der zwar als
eine der wichtigsten Kunstformen gilt, sein Negativimage der Volksbelustigung
aber nicht ganz ablegen konnte. Dies ist begründet in den Anfängen
des "Kintopps" als Vergnügen der armen Leute auf
Jahrmärkten. Die Obrigkeit befürchtete, durch die lebensnah
bewegten Bilder könne eine nervliche Zerrüttung greifen,
und die womöglich schlechten Vorbilder unmittelbar wirken.
Dies begründet die staatlichen Zensurbemühungen
gegenüber Tabu-themen wie Sex, Gewalt und Religion. So wurden
in Italien und Spanien Pasolinis Bibelsatire "La Ricotta"
("Der Weichkäse") wegen Blasphemie ebenso untersagt
wie Bunuels "Viridiana", und noch 1998 wurde der mit sizilianischen
Laiendarstellern gedrehte Film "Toto, der zweimal lebte"
wegen Gotteslästerung verboten. Die wohl bekannteste Jesus-Satire
Das Leben des Brian der Monty Pythons kam vor allem
wegen der Kreuzigungsszene in die Kritik (So schlimm ist Kreuzigen
nun auch nicht man ist wenigstens an der frischen Luft).
Der Film wurde in zahlreichen katholischen Ländern verboten.
In Irland war er acht Jahre lang nicht zu sehen - in Italien hielt
das Verbot sogar elf Jahre.
In Deutschland traf es vor allem "Das Gespenst":
Herbert Achternbuschs Wiederauferstehungsgroteske von 1983 wurde
zum Ärgernis. Zwar erhielt der Film eine "ab 18"-Freigabe
der FSK; doch die Staatsanwaltschaft München erhob Anklage
nach § 166 StGB. Insgesamt sollen damals über 2.000 (vorgefertigte)
Anzeigen aus dem ganzen Bundesgebiet eingegangen sein. Das Verfahren
wurde jedoch mit der Begründung eingestellt, "es fehle
dem Film ein Mindestmaß an Format". Und weiter: "Hier
kann die Frage, ob er als Kunstwerk zu qualifizieren ist, auf sich
beruhen, da das, was gezeigt wird, noch nicht einmal dazu taugt,
andere herabzusetzen", so die gönnerhafte bayerische Justiz.
Österreich sah das anders; dort ist der schwarzweiße
93-Minüter bis heute verboten. Der Film die Geschichte
eines leicht verzweifelten Jesus Christus, der vom Kreuz in die
Niederungen des Alltags hinabsteigt und sich unter anderem mit einer
Oberin einlässt wird noch vor der österreichischen
Erstaufführung wegen versuchter Herabwürdigung religiöser
Lehren und Verspottung der Person Jesus Christus
(so kann er z.B. nicht im See baden, da er über Wasser wandelt)
beschlagnahmt und schließlich verboten. Der Richter beruft
sich, man beachte die Wortwahl, auf den religiös normal
empfindenden Durchschnittsbürger. In Deutschland entzog
der damalige Innenminister Friedrich Zimmermann die Filmfördergelder.
Sie wurden erst nach zehnjährigem Rechtsstreit wieder zugebilligt.
Auch Werner Schroeters Verfilmung von Oskar Panizzas
"Liebeskonzil" erregte die Gemüter. Das Skandalstück
wird auf deutschen Bühnen kaum gegeben. So filmte man 1981
eine Inszenierung in Rom ab. In Österreich wurde der Film 1985
beschlagnahmt.
"Ave Maria": Das ursprüngliche Kinoplakat
für den Film von Jacques Richard mit einer gekreuzigten Frau
musste Mitte der 80er Jahre in Frankreich nach kirchlichen Protesten
eingestampft und durch ein deutlich keuscheres Motiv ersetzt werden.
Thematisch hätte die ursprüngliche Motivik durchaus gepasst,
denn in dem Film wird dargestellt, wie ein pompöser Provinzpope
sich als moralischer Großinquisitor an einem angeblich vom
Teufel besessenen Mädchen delektiert.
"Maria und Joseph" (1985): Jean-Luc Godards
Interpretation des Heilsgeschehens veranlasste sogar Papst Johannes
Paul II., seine Zuflucht zum Beten eines Rosenkranzes zu nehmen.
Viele Gläubige verurteilten den Film vor allem wegen der Darstellung
der nackten schwangeren "Jungfrau". Es kam zu gewalttätigen
Protesten. Kirchen-kritiker Gotthold Hasenhüttl meinte, nicht
der Film sei blasphemisch, sondern die Reaktion der Kritiker.
Die letzte Versuchung Christi (1988):
Martin Scorseses Interpretation Jesu als verunsicherter und innerlich
zerrissener Mensch, der sogar die Versuchung durch den Teufel in
Betracht zieht, wurde als gotteslästerlich angesehen. Die Folge
waren Stürme der Entrüstung von Seiten der Kirche und
des Publikums. Bei diversen Premieren rissen Zuschauer ihre Sitze
aus der Verankerung und schleuderten sie gegen die Leinwand. Zahlreiche
Kinos weigerten sich, den Film zu zeigen, vereinzelte Vorführungen
mussten wegen Bombendrohungen abgesagt werden.
"Larry Flynt - Die nackte Wahrheit" (1997):
Das Plakatmotiv mit dem in Windeln vor einem weiblichen Schoß
"gekreuzigten" Hauptdarsteller Woody Harrelson erregte
nicht nur in den USA den Volkszorn. In Frankreich wurden die Plakate
wieder abgehängt und auch in Deutschland wurden beispielsweise
drei Filmredakteure des konserva-tiven "Westfalen-Blattes"
(eine Art "Bayern-Kurier" Ostwestfalens) gekündigt,
nachdem sie zu positiv über den später mit dem Goldenen
Bären ausgezeichneten Berlinale-Beitrag berichtet hatten.
"Submission": Der provokante Film des Holländers
Theo van Gogh (in Zusammenarbeit mit Ayan Hirsi Ali) geißelt
die Unterdrückung der Frau im Islam, indem er Koransuren auf
nackte und mit Peitschen-striemen verletzte Akten projiziert. Der
Filmemacher wurde bekanntlich 2005 von einem Islamisten ermordet,
nicht zuletzt wegen "Submission".
Gemessen daran war die Aufregung um "Sakrileg"/Der
Da-Vinci-Code (2005) vergleichsweise harmlos: Die christliche Empfindlichkeit
gegen eine Verhunzung ihrer Symbole und Glaubenssätze beschränkte
sich auf protestierende Ordensschwestern und Gläubige, die
die Dreharbeiten behinderten und Protestaufrufen. Der Film nach
dem Bestseller von Dan Brown beschreibt unter anderem, dass Jesus
Maria Magdalena heiratete und mit ihr ein Kind zeugte. Zudem kommt
die Geheimorganisation Opus Dei nicht gut weg. Strenggläubige
Christen fühlten sich provoziert. Nach gewonnenen Prozessen
und belanglosen Boykottaufrufen besorgter Kleriker war der Siegeszug
des Millionensellers nicht mehr aufzuhalten.
Kommen wir nun zur Satire: Tucholskys Grundsatz "Was
darf Satire? - Alles", scheint im klerikalen Bereich nicht
zu gelten. Kein Wunder: Ein humorloser Gott hält sich offenbar
eine Horde humorloser Kleriker.
"Masochismus ist heilbar": Ein recht bekannter
Fall ist der von Birgit Römermann, die in den 80er Jahren in
mehreren Instanzen wegen dieses Aufklebers mit dem Kruzifix und
dem Text "Masochismus ist heilbar" zu einer Geldstrafe
verurteilt wurde.
Vor allem "Titanic" erregte oft und gerne
den Zorn, etwa wenn das "endgültige Satiremagazin"
titelte: "Der Papst kommt schon wieder". Ärger gab
es, als das Münsteraner "Stadtblatt" dieses Motiv
Mitte der 80er Jahre abdruckte und mit dem Hinweis versah, es zeige
den heiligen Vater "rammelnderweise".
Titanic - Satiremagazin (1995) Titanic veröffentlichte
auf dem Cover des Heftes 10/1995 unter der Überschrift Spielt
Jesus noch eine Rolle? eine Fotomontage mit einem Kruzifix
als Toilettenpapierhalter. Es folgte eine Strafanzeige durch die
deutsche Bischofskonferenz wegen der Beschimpfung von religiösen
Bekenntnissen. Verurteilt wurde das Magazin aber nicht.
"Ich war eine Dose" (1986). Hier erregte
sich nicht die Kirche, sondern die Weißblechindustrie ob der
unerwünschten Werbeaussage. Unterm Strich war das Ergebnis
identisch: Das satirische Titanic-Poster wurde untersagt; die Abbildung
geistert aber immer mal wieder durch die Presse, wie hier im Spiegel.
"Ratzinger will Jesus werden": Spötter
Wiglaf Droste wurde vom WDR zensiert, als er 1997 in der Satiresendung
"Mitternachtsspitzen" sein Gedicht "Ratzinger will
Jesus werden" vortragen wollte, wo es u.a. heißt: "Willst
du sein wie Jesus Christus / Nimm den Hammer, und dann bist du's!
/ Vergiss die langen Nägel nicht / denn du bist kein Leichtgewicht.
/ Schön zu sehn für alt und jung / ist die Eigenkreuzigung."
Die Redakteurin blendete den Ton aus und "Störung"
ein, da der Text gegen den WDR-Kodex verstoßen habe. Nun ist
der Herr Professor zwar nicht Jesus, aber immerhin sein Stellvertreter
hinieden geworden. Erstaunlicherweise durfte Droste das Gedicht
bei der "Scheibenwischer"-Gala 2006 in der ARD ungestört
rezitieren.
Nun zur Musik: ob "Sympathy for the Devil"
(Stones), Marilyn Manson oder Heavy (insb. Black) Metal - die "Moral
Majority" fürchtet gottlose, gar okkulte Neigungen und
fordert gerne Verbote, wie Reto Wehrlis Buch Verteufelter
Heavy Metal belegt. Beim Elsrock-Festival 2007 im niederländischen
Bibelgürtel mussten die Veranstalter zusichern, dass die auftretenden
Bands "keine blasphemischen Wörter gebrauchen werden und
die Ehre von Gottes Namen nicht beschmutzt wird", wie der Bürgermeister
von Rijssen in seinem Genehmigungsschreiben verfügte. Zuwiderhandlungen
würden strafrechtlich verfolgt (SZ, 21.3.2007).
Madonna: Nachdem es in Italien schon 1989 mit "Like
a Prayer" (der Vatikan forderte ein Auftrittsverbot, das in
Italien auch verhängt wurde) Ärger gegeben hatte, prüfte
eine deutsche Staatsanwaltschaft 2006, ob es sich um Gotteslästerung
handele, wenn sich Madonna zu ihrem Lied Live to Tell
an ein Kreuz hängt. Nach Besichtigung der Show kam Entwarnung.
Das Concert durfte über die Bühne gehen. Die katholische
Kirche beharrte auf ihrer Kritik: "Sich als Christus darzustellen,
ist eine Anmaßung ohnegleichen", sagte ein Sprecher des
Erzbistums Köln.
"Oomph": Die niedersächsische Band
"Oomph" wurde wegen ihres Songs "Gott ist ein Popstar"
von der Echo-Verleihung 2006 auf RTL ausgeladen; auch Radiosender
wie EinsLive wollten den Song nicht ausstrahlen. Meine Befürchtung:
Greifen solche Animositäten weiter um sich, wird man in Zeiten
der Vogelgrippe Lieder wie "Alle Vögel sind schon da"
und "Heile, heile, Gänschen" vom Sender nehmen müssen.
Vermutlich hatten die Gläubigen und ihre staatlichen
Handlanger noch den Schlachtruf "Hardrock Hallelujah"
im Ohr. Während Berufsbesorgte ein Auftrittsverbot wegen "Satanismus"
forderten, gewann die finnische Hard Rock-Band "Lordi"
2006 den Eurovision Song Contest. Ironischer Schock-rock war im
Mainstream angekommen.
Offenbar davon ermutigt, schlug der ansonsten so harmlose
Schweizer Musikant DJ Bobo. 2007 in die gleiche Kerbe und setzte
sich prompt in die Nesseln, da er sich nicht an die Spielregeln
der seichten Unterhaltung hielt. Gegen seinen Beitrag für den
Song Contest sammelten gläubige Eidgenossen um Nationalrat
Christian Waber, wie ihresgleichen stets bereit, Ärgernis zu
nehmen, rund 50.000 Unterschriften für eine Verbotspetition,
da der Song "Vampires are alive" angeblich zu düster
sei, den Teufel verharmlose, und labile Menschen zum Selbstmord
verleite, u.a. wegen der Textzeile "Genieß mit mir den
Weg vom Himmel zur Hölle und verkaufe deine Seele". Die
Protestler forderten, der angeblich "okkulte" Beitrag
solle zurückgezogen werden, da der öffentliche und der
religiöse Friede gestört würden. Ende April lehnte
der Bundesrat die Petition jedoch ab. Kommentar von Waber: "Die
Bibel sagt, wir sollen Feinde segnen. In diesem Sinne wünschen
wir DJ Bobo Segen von ganzem Herzen" (SZ, 24.4.2007). Das nutzte
nicht viel, da der umstrittene Song nicht über das Halbfinale
hinauskam.
Nun zwei Beispiele aus dem Comic-Bereich: Maester.
Die zwei Comic-Zeichnungen zu "Schwester Maria-Theresa"
von Maester sorgten 1994 für Aufregung in einer Kölner
Galerie. Nach Anzeige des Generalvikariates unter Federführung
von Kardinal Meisner beschlagnahmte die Polizei das in der Presse
als "unkeusche Nonne" titulierte corpus delicti. Anstoß
erregte, dass die Ordensfrau dem gekreuzigten Jesus in den Lendenschurz
guckt und dabei die Augen verdreht. Die juristische Posse ging bis
vor das OLG Köln und endete mit einem Freispruch. "Die
neue Bildpost" titelte 1995 empört: "Skandal - Freispruch
für Gotteslästerer!".
Gerhard Haderer: "Das Leben des Jesus":
Der österreichische Cartoonist bekam Ärger wegen seines
Bilderbuches, das den Heiland u.a. als Weihrauch-Junkie zeigt. Wegen
Verunglimpfung einer Religionsgemeinschaft wurde er im Januar 2005
in Abwesenheit in Griechenland zu 6 Monaten Haft verurteilt. Das
Urteil wurde im April 2005 aufgehoben und Haderer freigesprochen.
Die Erzdiözese Wien organisierte freilich einen Boykott des
Verlages von Haderer und zeigte ihn an. "Die Kirche sollte
genug Humor haben, um zu sagen: Es ist eine Karikatur und keinen
Kulturkampf wert", fand dagegen die evangelische Bischöfin
Margot Käßmann.
Über die Reklamebranche wacht der Deutsche Werberat,
der bei Verstößen Missbilligungen und öffentliche
Rügen erteilt. Auch die Verletzung religiöser Gefühle
kann ein Grund sein. So beanstandete der Rat 1981 den Slogan "Unser
täglich Brot fällt nicht vom Himmel", mit dem ein
Chemieunternehmen für besseren Dünger warb. Die kommerzielle
Verwendung des Vaterunser verletze ebenso das religiöse Empfinden,
wie die 1988 beanstandete Hörfunk-Werbung "Du sollst keinen
anderen Sender haben neben mir". Verfremdete Bibelzitate dürfen
nicht zu Reklamezwecken missbraucht werden.
Otto Kern: Jeansreklame. Nach kirchlichen Protesten,
einer Abmahnung durch den Werberat und einem Gerichtsurteil musste
1993 der Modedesigner Otto Kern die Jeans-Reklame à la Leonardos
"Letztes Abendmahl" vom Markt nehmen. Grund für die
Erregung waren die weiblichen "Jünger", die lediglich
eine Nietenhose tragen.
2005 adaptierte das französische Modehaus Girbaud
das Abendmahl-Motiv in einer Inszenierung der Fotografin Brigitte
Niedermaier (Abb. oben). Es zeigte sich, dass auch in anderen europäischen
Ländern Werbung Ärger auslösen kann. Zunächst
erregte es in dem von Berlusconi dominierten Mailand so großen
Protest, dass die Stadt es im Februar 2005 verbot, "weil es
die Grundlagen des christlichen Glaubens berührt". Als
besonders anstößig wurde empfunden, dass die "Christus"-Figur
ebenso wie die "Apostel" weiblich sind, und die einzige
männliche Figur einen nackten Rücken zeigt.
Als Girbaud das Foto in Frankreich veröffentlicht, klagt auch
die dortige katholische Kirche gegen die Eigentümer des Modelabels,
Marithe und Francois Girbaud, wegen Blasphemie. Richter Jean-Claude
Magendie gab der Kirche Recht und verbot das Motiv.
Er entschied, dass die Anzeige die religiösen Gefühle
vieler Katholiken zutiefst verletze, und wies die Girbauds an, innerhalb
von drei Tagen die Anzeigen von den Reklamewänden im ganzen
Land entfernen zu lassen. Andernfalls drohe ihnen eine tägliche
Geldstrafe von 100.000 Euro. Der Rechtsvertreter der katholischen
Kirche, Thierry Massis, erklärt vor der Presse: Wenn
man die Fundamente einer Religion trivialisiert und das Heilige
angreift, ist das eine unerträgliche Gewaltausübung.
Nach einem Bericht der Online-Ausgabe der Vogue meinte er: «Die
Verunglimpfung heiliger Dinge ist eine moralische Gewalttat, die
gefährlich für unsere Kinder ist. Morgen sehen wir dann
vielleicht eine Anzeige, auf der Christus am Kreuz Socken verkauft.»
Die Girbauds hingegen erklärten, sie seien schockiert von dem
Urteil. Es sei nicht ihre Absicht gewesen, irgend jemandes Gefühle
zu verletzen. Sie argumentierten, das zitierte Leonardo-Gemälde
sei Teil des Weltkulturerbes. Laut Yahoo empfindet die französische
Anzeigen- und Mode-Industrie das Gerichtsurteil als religiöse
Zensur, die mit Frankreichs liberaler Tradition nicht vereinbar
sei. (netzeitung)
Printwerbung für Popetown: "Lieber ablachen
als rumhängen". Mit einem derart heftigen Medienecho hatte
der Sender MTV nicht gerechnet. Schon die Werbung für die Trickfilmserie
wurde zum Eklat. MTV entschloss sich, die Kampagne vorzeitig zu
beenden. Der Werberat erteilte eine Missbilligung; eine strafrechtliche
Verurteilung blieb allerdings aus. Das Landgericht München
urteilte: "Nicht jede Veröffentlichung, mag sie auch geschmacklos
oder schlicht dümmlich sein, ist geeignet, eine Beeinträchtigung
des öffentlichen Friedens zu besorgen." Auf den Zeichentrick
selber komme ich noch zu sprechen. Die in der gleichen Ausgabe von
"TV Spielfilm" gedruckte Werbung mit Adam und Eva wurde
übrigens nicht beanstandet, da sie die Grenzen der traditionellen
Ikonographie nicht überschritt.
"Sieben Kilometer nach Jerusalem" (2007):
Der Film erzählt die Geschichte eines Italieners, der auf der
Suche nach dem Sinn des Lebens nach Jerusalem flieht und dort Jesus
begegnet. Dem bietet er eine Coke zu trinken an. Jesus greift zu.
"Was für eine Werbung!" denkt der edle Spender laut.
Coca-Cola findet das nicht. Im Gegenteil: Der US-amerikanische Konzern
fürchtet, sich mit Jesus als Kunden ein schlechtes Image einzufangen.
Deshalb verlangte der Softdrink-Produzent mit Erfolg, die inkriminierte
Szene aus dem Streifen herauszuschneiden. (Spiegel-Online, 9.4.2007).
Theater und Kunst: Das Maria-Syndrom: Mit Hilfe des
sog. § 166 StGB wurde die Aufführung des Musicals Das
Maria-Syndrom von Michael Schmidt-Salomon, in dem eine neuzeitliche
Marie über einer verunreinigten Klobrille befruchtet
wird und daraufhin einen Fall der unbefleckten Empfängnis annimmt,
verboten.
Die Uraufführung dieses Stücks sollte am 28. Mai 1994
in Trier stattfinden. Einen Tag zuvor wurde die Aufführung
vom Ordnungsamt verboten, das einem Antrag des Trierer Bistums folgte.
Auch eine Aufführung vor einem garantiert religionsgefühllosen
Publikum wurde nicht zugelassen. Das anschließende Gerichtsverfahren
ging über mehrere Instanzen: Das BVerwG bestätigte die
Rechtmäßigkeit des Verbots des Stücks und folgte
dem Oberverwaltungsgericht Koblenz. Das Bundesverfassungsgericht
lehnte eine Behandlung des Falls ohne Angabe von Gründen ab.
1993 zeigte die Kölner Stunksitzung ein Kruzifix mit der Inschrift
"Tünnes" anstatt INRI. Das Schild wurde
nach einer Strafanzeige wegen Gotteslästerung polizeilich beschlagnahmt.
Der Regisseur der Stunksitzung erhob gegen den anschließenden
Strafbefehl über DM 6.000 Einspruch. Diesem wurde wegen des
Vorrangs der Kunstfreiheit stattgegeben. 2006 war ein Sketch der
Stunksitzung, bei dem es um Papst Benedikt XVI. und den Kölner
Kardinal Meisner ging, erneut Gegenstand staatsanwaltlicher Ermittlungen.
Der WDR schnitt das entsprechende Stück aus der Übertragung
der Sitzung heraus.
Mozarts Idomeneo in der modernen Inszenierung
an Berliner Oper erregte 2006 die Gemüter, da in der Schlussszene
die Häupter der geköpften Religionsführer aufgereiht
wurden; darunter auch Mohammed. Dies nährte die Besorgnis einer
Zuschauerin, Fundamentalisten könnte derlei zum Anlass für
Sicherheitsgefährdendes nehmen. Die Polizei war alarmiert,
die Opern-Chefin setzte in vorauseilender Angstsorge das Stück
ab. Nun gab es keinen islamistischen Unmut, sondern die Demokraten
sahen ihre Freiheitsrechte unterminiert. Nach großem Hin und
Her wurde das Stück wieder auf den Spielplan gesetzt. Mutige
Promis blickten entschlossen in die Kameras. Nichts passierte.
Martin Kippenberger: Fred Frog Rings The Bell aka
Zuerst die Füße (Plakat Abb. siehe oben):
Nachdem Kippenbergers (+1997) Kunstwerk schon 1990 für Unmut
gesorgt hatte, wiederholte sich der Ärger, als Veit Loers im
Kontext der Bewerbung Regensburgs zur Kulturhauptstadt Europas 2010
mehr Mut zur Provokation forderte und auf Kippenbergers gekreuzigten
Frosch verwies. Die katholische Kirche fühlte sich not amused
und meinte: Provokation könne sinnvoll sein, aber nicht über
den Versuch, christliche Symbole zu beleidigen. 2005 diente Kippenbergers
gekreuzigter Frosch mit Maßkrug als Motiv für ein Plakat
zur Premiere des Theaterstücks "Fegefeuer in Ingolstadt".
Auf Druck von katholischen Kreisen zog das Volkstheater München
das Plakat noch vor der Premiere im Januar 2005 zurück. Und
noch 2008 erregte der Frosch in Bozen, Südtirol die Gemüter.
Nach heftigen Protesten wurde er aus der Ausstellung Peripherer
Blick und kollektiver Körper" entfernt. Aus Protest gegen
diese "Pervertierung des christlichen Kreuzes" war der
SVP-Politiker und Landtagsabgeordnete Franz Pahl für eine Woche
in Hungerstreik getreten. Es wurden 10.263 Unterschriften gegen
die Skulptur gesammelt. Selbst der Vatikan hatte betont, dass das
Kunstwerk "die religiösen Gefühle vieler Menschen
verletzt hat, die im Kreuz ein Symbol der Liebe Gottes und unserer
Rettung sehen". Die Kuratorin des Museions, Letizia Ragaglia,
hatte zur Erläuterung gemeint, Kippenberger habe sich selbst
in der Schaffensphase als Gekreuzigter gefühlt. Der Künstler
hatte zum Zeitpunkt der Entstehung einen Alkohol- und Drogenentzug
gemacht. (APA)
Fernsehen: RTL Samstag Nacht: Eine schrecklich heilige
Familie (1996). Wegen des Sketches, bei dem ein toter Fisch mit
der Bemerkung "So, in drei Tagen lebt er wieder" an ein
Kreuz genagelt wurde, hagelte es Proteste, auch und vor allem von
Kardinal Meisner und Militärbischof Dyba. Der "Focus"
erregte sich, druckte aber gleichwohl die besten bösen Beispiele
ab.
Popetown: Ein weiteres Beispiel für einen Sturm
im Wasserglas zeigten die Aufregungen rund um die läppisch-infantile
Zeichentrickfilmserie "Popetown". Der Papst mutierte vom
Stellvertreter Gottes, Nachfolger Petri, unfehlbaren Bischof Roms
und Chef von über einer Milliarde Katholiken nicht nur zum
"Benedetto-Bravo-Starschnitt", sondern zum präpubertären
Pop-Popen. Die vom alterprobten "Bekenne, sonst brenne"
zum ohnmächtigen Oberhirten gewandelte Institution wurmte,
ihre moralisch und politisch kaum noch abhängige Herde nicht
mehr vor sich her treiben zu können.
Zur Chronologie: Schon vor der Ausstrahlung am 3.
Mai 2006 sorgte die Papst-Satire auf MTV für Aufregung und
Aufmerksamkeit bei den üblichen Verdächtigen. Vorsorglich
beleidigte Katholiken wollten die in England produzierte - aber
dort nie gesendete - Persiflage verhindern. MTV stoppte die Werbekampagne.
Während Jugendschützer forderten, die Sache noch einmal
zu überdenken, betonten die Jungen Liberalen die Pressefreiheit,
forderte ein Bischof zum Boykott auf und wollte ein Erzbischof das
Verbot des Comic-Papstes. Der CSU-Fraktionschef zeigte den Musiksender
an; es wurde vergeblich versucht, eine einstweilige Verfügung
gegen die Ausstrahlung zu erwirken. MTV sendete dann eine Folge
mit anschließen-der Diskussionsrunde, die Der Spiegel treffend
mit "Viel Weihrauch um nichts" kommentierte. Das Strafverfahren
wurde eingestellt, die restlichen Episoden versendeten sich mit
schwindender Aufmerksamkeit. Gleichwohl regte Bayern einmal mehr
vergeblich eine Verschärfung des § 166 an.
Angesichts der Millionen Opfer von Kreuz und Schwert,
Bibel und Feuer durch Inquisition, Folter, Kreuzzügen und sonstigen
"Heiligen Kriegen", Conquista und Hexenprozessen, angesichts
der tausend Titel auf dem Index der verbotenen Bücher muten
die Empfindlichkeiten gegenüber einem lächerlich-albernen
Pop-Popen ziemlich bizarr an.
Kunst: Chris Ofili: Hl. Jungfrau mit Dung (1999):
und Renée Cox: In einer Ausstellung des Brooklyn-Museums
zeigte Chris Ofili 1999 eine Arbeit, bei der er Maria als schwarze
Frau darstellt, zu deren Accecoirs Elephanten-Dung und Ausschnitte
aus pornographischen Zeitschriften gehören. Die Arbeit ist
ein Mixed-Media-Werk, das Elemente byzantinischer Mosaiken, Bilder
der populären Kultur und heiliger Symbole der Afrikaner enthält.
Auch das Foto der schwarzen Künstlerin Renée Cox stieß
2001 auf Unverständnis, da sie unbekleidet in einer Segensgeste
posiert, in der traditionell Christus dargestellt wird. Die Message:
Schwarze und Frauen sind genauso Kinder Gottes und können seine
Lehren verkörpern. Rudi Giuliani, damaliger Bürgermeister
von New York, suchte die Ausstellung wegen der darin gezeigten "antikatholischen"
Arbeiten zu verhindern und drohte mit der Kürzung des Museumsetats
(SZ, 27.01.2001). Ab September hatte Giuliani dann andere Sorgen.
"My Sweet Lord" - Schokoladeskulptur im
Roger Smith Hotel, New York, 2007: Das Manhattaner Hotel hielt es
für eine gute Idee, in ihrer "Lab Gallery" ausgerechnet
in der Karwoche eine lebensgroße Skulptur des nackten Gekreuzigten
auszustellen. Aus Schokolade, in der Fastenzeit und der Leidenszeit
Christi. Dies scheiterte nach massiven Protesten u.a. der katholischen
Liga. Deren Vorsitzender, Bill Donhue, sprach von "einer der
schlimmsten Verletzungen christlicher Gefühle, die es je gegeben
hat" (SZ, 31.3.2007). Kardinal Edward Egan, Erzbischof von
New York, sprach von einer "skandalösen Abbildung",
von einer "wider-wärtigen Ausstellung". Und: "Die
katholische Gemeinde ist durch diese Beleidigung unseres Glaubens
gewarnt. Das ist etwas, was wir nicht vergessen werden " (SZ,
2.4.2007). Der künstlerische Leiter der Galerie nannte die
Terminierung über Ostern lediglich "einen unglücklichen
Zufall." Nicht bekannt ist, ob es sich beim Titel "My
Sweet Lord" um eine Anspielung auf den gleichnamigen Song von
George Harrison handelt. Die Beatles hatten sich in den 1960er Jahren
schon einmal den Zorn amerikanischer Katholiken zugezogen, als John
Lennon behauptete, sie seien bekannter als Jesus. Daraufhin verbrannten
aufgebrachte Gläubige Schallplatten der Pilzköpfe und
riefen zu Boykotten auf.
Auch bei anderen Werken gab es Ärger, z.B. bei
Dorota Nieznalskas Penis-Kruzifix, das gegen polnische
Blasphemie-Gesetze verstieß und zu Geldstrafe sowie zu sechs
Monaten "eingeschränkter Freiheit" führte. Oder
Alfred Hrdlickas Leonardos Abendmahl, der daraus eine
Art Sex-Orgie machte, was dem Wiener Dommuseum zu viel war: Kardinal
Schönborn ließ das Bild aus der Schau über das Werk
von Hrdlicka entfernen. "In einzelnen seiner Werke beachtet
er die unbedingte Schwelle der Ehrfurcht vor dem Heiligen nicht."
Alltagskultur: Karnevalswagen "Drei Jecken am
Kreuz" (1996): Der 1996 für den Düsseldorfer Karneval
geplante Themenwagen, der sich satirisch mit den Reaktionen auf
das konträr diskutierte Kruzifix-Urteil des Bundesverfassungsgerichts
auseinandersetzen wollte, wurde nach Protesten nicht verwirklicht.
Bereits der umstrittene und in der Tagespresse veröffentlichte
Entwurf von Jacques Tilly mit Gekreuzigten und Narrenkappen, über
den ein "Helau" statt "INRI" steht, empörte
viele Gläubige. OB Marlis Smeets (SPD) fasste den Unmut zusammen:
"Bei aller Narrenfreiheit - aber es gibt bestimmte Themen,
zu denen zähle ich auch christliche Symbole, die dürfen
nicht zum Gespött gemacht werden." Übrigens wurde
auch die Überschrift der taz zum Verfassungsgerichtsurteil
"Kruzifix! Bayern ohne Balkensepp" vom Deutschen Presserat
gerügt.
"jetzt" - Die auf eine Seite pro Woche reduzierte
Jugendbeilage der Süddeutschen Zeitung wurde in den 90er Jahren
heftig gerüffelt wegen einer Kolumne, in der Gott unter der
Rubrik "Fünferbande der Totgesagten" neben Jim Morrison,
Punk, Elvis und dem deutschen Film eingeordnet wurde. Dort hieß
es: "Seine Anhänger treffen sich sonntäglich zum
Absingen kitschiger Lieder, töpfern an Kirchentagen und brachten
in seinem Namen Millionen Andersgläubige um. Dabei wurde Gott
noch nie, sein Sohn zuletzt vor 2000 Jahren gesehen." Das Landeskomitee
der Katholiken in Bayern erzürnte sich bei diesem "Ausdruck
unverschämter Ignoranz und unerträglicher Beleidigung
von Christen." Die Redaktion entschuldigte sich und versicherte
dem Presserat, dass "eine derartige Entgleisung nicht mehr
vorkommen wird."
Jesus-Faschingskostüm: Erfolg hatte eine Welle
des Protestes gegen ein Jesus-Faschingskostüm. Die italienische
Firma, die das von einem chinesischen Unternehmen produzierte Kostüm
vertrieb, nahm das umstrittene Produkt aus dem Handel. Kirchenvertreter
hatten es scharf kritisiert, das unter anderem aus einer Langhaar-Perücke
und einer Plastik-Dornenkrone bestand. Die Verleumdung der
Religion ist ein Verbrechen, sagte Bischof Velasio De Paolis,
Sekretär des obersten kirchlichen Gerichtshofes. Kurienkardinal
Achille Silvestrini sprach von einer vulgären und unentschuldbaren
Beleidigung für die Gläubigen.
"Koran-Klorollen": Im Februar 2006 wurde
ein (mehrfach vorbestrafter) Frührentner aus Lüdinghausen
wegen Beschimpfung eines religiösen Bekenntnisses und Störung
des öffentlichen Friedens zu 12 Monaten Haft auf Bewährung
und 300 Stunden Sozialarbeit verurteilt. Er hatte Toilettenpapier
mit einem Stempel "Koran, der heilige Qur'an" bedruckt
und es zusammen mit beleidigenden Schreiben an Moscheen und Fernsehsender
verschickt. Außerdem bot er es zum Verkauf an, um mit dem
Erlös eine "Gedenkstätte für alle Opfer des
islamistischen Terrors" zu finanzieren. Neben der Verurteilung
wurde er selbst von den Folgen seiner Tat eingeholt, da er wegen
Drohungen seinen Wohnort wechseln musste.
Die Schmähung anderer Religionen erweist sich
als besonders heikel: Beim Judentum rückt Blasphemie schnell
in eine ungute Nähe zur NS-Ideologie; beim Islam befürchtet
man Terror und Heiligen Krieg. Wie hoch die Emotionen kochen können,
zeigen der Streit um die Mohammed-Karikaturen oder der Idomeneo-Eklat
der Deutschen Oper. Der deutsch-türkische Comedian Kayar Yanar
meinte, er würde nie wieder Witze über den Islam machen,
nachdem er wegen eines harmlosen und nicht korankritisch gemeinten
Kopftuchscherzes in seiner Sendung "Was guckst Du" Morddrohungen
erhalten hatte.
"Resistance Fall Of Man": Ein blutiges
Computerspiel von Sony hat 2007 die Kritik der englischen Kirche
auf sich gezogen. "Resistance Fall Of Man" spielt
in einer Kathedrale in Manchester, wo Aliens erschossen werden sollen.
Nachdem englische Kirchenführer mit einer Klage drohten, zog
Sony das Spiel zurück und entschuldigte sich.
Auch in Deutschland ruht der weltliche Arm der Macht
nicht, wenn schwarze Schafe aus der Reihe tanzen. Kardinal Meisner
ließ per Gerichtsbeschluss dem Kölner Kabarettisten Jürgen
Becker unlängst untersagen, weiterhin zu behaupten, bei diesem
Kirchenmann handele es sich um einen Hassprediger. Zuwiderhandlungen
sollten bis zu EUR 250.000 kosten.
"Blasphemy Challenge": In den USA sorgte
2007 eine Kampagne namens "Blasphemy Challenge" unter
Christlich-Konservativen für Empö-rung. Mittels Videobotschaft
leugnen Atheisten die Existenz Gottes und begehen damit angeblich
die einzige Sünde, die nicht von Gott vergeben werde (Markus
3, 29). Sowohl auf "Youtube" als auch auf ihrer Homepage
haben die Initiatoren der "Blasphemy Challenge", das "Rational
Response Squad", dazu aufgerufen, öffentlich den Heiligen
Geist zu leugnen und sich als Atheist zu bekennen.
Tausende stellten ihre Gotteslästerung als Video online. Kritiker
der Kampagne erklärten, dies sei ein direkter Angriff auf das
Christentum und inakzeptabel. Befürworter des skurrilen Projektes
hingegen meinten, dass man provozieren und eine öffentliche
Diskussion über Glauben, Atheismus und den Status der Religionen
in Gesellschaft und Politik anregen wolle. (SZ, 6.5.2007). Währenddessen
wurde im Mai 2007 in Italien die Katholische Anti-Defamation-League
gegründet. Gründer Pietro Siffi: "Die Angriffe reichen
von Gotteslästerung über verbale Gewalt gegen die Kirche,
Verleumdung des Papstes, ehrfurchtsloser Satire und historische
Falschheiten. Es ist die Zeit gekommen, dass Katholiken reagieren."
Als ein Beispiel nennt er die Konzerte von Madonna. "Diese
Show beleidigt nicht nur die Katholiken, sondern alle Christen".
Er ruft zu Boykottkampagnen auf. (Der Standard, Wien, 2. Mai 2007).
"Frömmigkeit verbindet sehr, aber Gottlosigkeit noch viel
mehr", meinte der Kirchen- und Religionsgegner Goethe in den
"Zahmen Xenien".
Und als letzten Fall sei das bekannte Ferkelbuch
Wo bitte gehts zu Gott? fragte das kleine Ferkel
von Michael Schmidt-Salomon und Helge Nyncke erwähnt. Dieses
antireligiöse Kinderbuch sollte Ende 2007 auf den Index der
Bundesprüfstelle, da die drei großen Religionen (insb.
das Judentum) verächtlich gemacht würden. Selbst nachdem
der Indizierungsantrag des Bundesfamilienministeriums in diesem
Frühjahr abgewiesen worden war, verstummten die Stimmen der
Mahner nicht. Es müsse endlich eine Schutzzone für die
Religionen her.
Kehren wir nach diesen Beispielen zurück zu den
Ausgangsfragen nach der Ästhetik und den Grenzen der Kritik.
Worin liegt die Faszination, gerade in der Kulturbranche, die sonst
immer dem hippsten Hype hinterherjagt, sich an tradierten Symbolen
und Institutionen zu schaffen zu machen? Ist es der prickelnde Reiz,
ein gleichsam heiliges Tabu zu übertreten? Handelt es sich
gar um die grundsätzliche Kritik am Christentum? Oder geht
es bloß um Aufmerksamkeit, die durch den Eklat reflexhaft
provoziert wird?
Da man Gott selbst kaum lästern kann, werden
stellvertretend sakrale Symbole verwendet, die im kulturellen Gedächtnis
des christlichen Abendlandes noch tief verankert sind. Ist die blasphemische
Verwendung des Kreuzes aber nur ein Eye-catcher für abgestumpfte
Kids? Warum kann selbst eine Pop-Ikone (!) wie "Madonna-Like-a-Virgin"
nach all den Jahren nicht von dieser Symbolik lassen? Die Ästhetik
der Blasphemie greift - um als solche erkennbar zu werden - notwendigerweise
althergebrachte Sakralbezüge wie Kruzifix, Abendmahl, Paradies
und Papst auf und interpretiert sie ihrer Intention gemäß
um.
Bedeutet dies, in Anlehnung an das psychologische
Erklärungsmuster Schockenhoffs, daß auch das Gott
verspottende Kunstwerk letztlich nur Ausdruck der allerdings irregeleiteten
Suche des Künstlers nach Gott ist?
Kommen wir überhaupt aus der Zwickmühle
heraus? Und die Kirche? Selbst nach Auffassung eines Ludwig Feuerbach
hat sie, als moralische Person ein Recht auf Ehre. Muss
sich die Religion alles gefallen lassen? Auch wenn die kirchlichen
Reaktionen angesichts historischer Schuld scheinheilig wirken und
die Anprangerung von kirchlichen Missständen gerechtfertigt
bleibt, haben wir zu fragen, wie es mit den Gefühlen der Gläubigen
stehe, denen die traditionellen Zeremonien, Riten und Symbole noch
immer viel bedeuten? Und wie halten wir es mit Toleranz, interreligiöser
Verständigung und dem sogenannten öffentlichen Frieden?
Für Papst Benedikt ist die Gottvergessenheit
die ärgste Wurzel allen Übels. Wenn der Gesellschaft die
Gottesfurcht und die Abwehrreaktion gegenüber künstlerisch
verbrämter Gotteslästerung weithin abhanden gekommen sind,
stehen damit die Werte des Abendlandes auf dem Spiel?
Das Verhältnis von Popkultur zur Religion ist
ebenso ambivalent wie die menschliche Freiheit. Ist Blasphemie ein
Missbrauch von Freiheit? Oder ist sie nicht auch ein Gewinn an Autonomie
gegenüber den alten Fesseln der klerikalen Zurichtung? Sind
Tabubrüche verdammenswerte "Kulte des Bösen"?
Nicht nur im Islam ist die Sünde gegen Gott ein schweres Vergehen.
Böswillige Gotteslästerer erwarte die gerechte Strafe:
Irret euch nicht, Gott läßt seiner nicht spotten!
Denn was ein Mensch sät, das wird er auch ernten (Galater
6, 7).
Oder weisen Tabubrüche und Blasphemien
einen unverzichtbar aufklä-rerischen Impetus auf, einen humanistischen
Charakter, der die selbstbestimmte Verbesserung der Lebensverhältnisse
in den Mittelpunkt stellt und obsolete Zeremonien sowie die oft
menschenverachtenden Tendenzen vieler Religionen zurecht anprangert?
Schnell befinden sich Blasphemiker in der Rolle von
Klugscheißern, die sich für etwas Besseres halten, wenn
sie die ihrer Meinung nach überkommenen Symbole veralbern.
Ist nun aber Blasphemie automatisch ein Zeichen aufgeklärten
und aufklärerischen Denkens? Oder steckt in ihr nicht auch
ein Quentchen Intoleranz, wenn sie den Menschen in ihre Trostsuppe
spuckt, indem sie die Symbole, die ihnen etwas bedeuten, madig macht?
Die eigentliche Blasphemie besteht m.E. in der Vereinnahmung
des Begriffs des Absoluten für den Machterhalt, die Unterdrückung
des menschlichen Potenzials durch Ausnutzung von Armut, religiöser
Sehnsüchte und Trostbedürfnisse sowie in der Instrumentalisierung
religiöser Gefühle z.B. für Kriege.
Angesichts der historischen und aktuellen religionsbedingten
Katastrophen, Kriege und Morde erscheinen die hier geschilderten
Formen von Blasphemie in der Popkultur zwar harmlos und die aufgeregte
Reaktion eher albern. Doch jeder zieht andere Grenzen: Was dem Atheisten
als Scherz auf die überkommenen Riten einer "Absolutionsbude"
erscheint, kann anderen als Beschimpfung anmuten. Schwierig, einen
Konsens über das Heilige zu finden.
Das alte Dilemma: Freiheit zur kritischen Meinung
auf der einen, Religionsfreiheit und Schutz von verletzten Gefühlen
sowie dem öffentlichen Frieden auf der anderen Seite. Im Völkerrecht
z.B. ist die herrschende Meinung, dass Hassrede gegen und Diskriminierung
von Minderheiten und Weltanschauungen sowie Aufstachelung zu Gewalt
verboten sind, während es keinen Anspruch auf Individualrechtsschutz
persönlicher religiöser Gefühle gibt. Kritik ja,
aber keine verletzende Beschimpfung des Bekenntnisses anderer oder
Verhöhnung gläubiger Mitmenschen. Eine agnostisch-tolerante
Haltung erscheint mir auch bei der Blasphemie in der Popkultur ein
möglicher Maßstab für die Grenzen zu sein.
Drei Schlussworte. Religion ist Beweis für
die Schwäche des Menschen, kein Argument für die Existenz
Gottes. (Sonja Zekri). Das Projekt der Humanisierung der Lebensverhältnisse
kann laut Michael Schmidt-Salomon nur durch eine weltweite, religiöse
Abrüstung gelingen, wobei bei der Dekonstruktion der Dogmen
die wertvollen, nicht-religiösen Bestandteile der Religionen
nicht verloren gehen dürfen. Und drittens möchte ich den
Kabarettisten Jürgen Becker zitieren, der in seinem Buch "Ja,
was glauben Sie denn?" meint: "Religion ist völlig
harmlos, solange man sie nicht ernst nimmt."
Kommt allerdings drauf an, wo man sich befindet. Der
Münsterander Karikaturist Ernst Kassenbrock warnte, gerade
in der Bischofsstadt keine Witze über die Kirche zu machen,
da die Wiedertäufer-Käfige am Lamberti-Kirchturm noch
Platz für Spötter böten. Es bleibt spannend.
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