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Ob Kruzifix oder Letztes Abendmahl - wenn christliche Symbole neu interpretiert werden,

steht schnell der Blasphemievorwurf im Raum.

Der folgende Text von Roland Seim erläutert anhand zahlreicher Beispiele die Empfindlichkeiten in der Popkultur.

 

Vortrag auf der IBKA-Tagung 2008 "Grundrechte im Schatten der Götter"

im Oberanger Theater in München am 12.10.2008


Roland Seim

Kruzifix! Blasphemie in der Popkultur.

Ist von Blasphemie die Rede, denken die meisten, in der weitgehend säkularen, laizistischen Gesellschaft des 21. Jahrhunderts wäre das eigentlich kein Thema mehr oder aber nur Sache fundamentalistisch geprägter Mentalitäten und Staatsformen.

Doch schon ein Blick auf die USA - "God's Own Country" - zeigt uns, welchen Einfluss Religion immer noch selbst in westlichen Kulturkreisen besitzt. Nicht umsonst steht auf den Dollarnoten "In God We Trust". Ich erinnere an die Wählermacht der Evangelikalen, an den "Kreuzzug" gegen die "Achse des Bösen", an die Streichung des Sexualkundeunterrichts in vielen Schule sowie die Diskussion um Darwin gegen den Kreationismus und sein angeblich Intelligentes Design.

Auch bei uns zeigen Stichworte wie Karikaturenstreit, Regensburger Papst-Rede, Kopftuchverbot und Idomeneo-Eklat, dass religiöse Gefühle wieder schneller verletzt werden können. Nicht zuletzt infolge der Globalisierung fundamentalistischen Gedankenguts werden hierzulande Animositäten gegen die humanistischen Ideale einer aufgeklärten Gesellschaft mobilisiert. "Man muss", schrieb Karl Kraus, "die leichte Reizbarkeit des katholischen Gefühls kennen. Es gerät immer in Wallung, wenn der andere es nicht hat."

Im Folgenden möchte ich anhand von einigen Beispielen aus den Berei-chen Film, Satire, Kunst und sonstigen populärkulturellen Medien zeigen, was in Deutschland und anderen westlichen Demokratien als Blasphemie in strafrechtlichen Konflikt mit der Obrigkeit kam oder zu Protesten führte, und warum dies so war. Nicht berücksichtigen kann ich die zahlreichen kirchenrechtlichen Maßnahmen gegen "abtrünnige" Forscher wie Horst Herrmann, Hans Küng, Eugen Drewermann, Uta Ranke-Heinemann etc.

Zentrale Fragen sind: Gibt es eine "Ästhetik der Blasphemie"? Was ist der Kern solcher Gotteslästerung? Und wo können die Grenzen liegen?

Die Gretchen-Frage "Sag', wie hälst Du's mit der Religion", dürfte so alt sein wie das Bedürfnis des Menschen nach Erklärung der Mysterien des Lebens. Woher kommen wir, wohin gehen wir, und was soll das Ganze zwischendurch?, wie Douglas Adams scherzhaft formulierte.

Ebenso alt wie die mystischen Riten der frühen Geisterbeschwörer dürfte die sog. Gotteslästerung derjenigen sein, die anderer Ansicht waren. Da es sich die Mehrheit nicht mit den Göttern verderben wollte, wurden Verstöße als Angriff auf die Überlebensfähigkeit der Gruppe gedeutet und bestraft. Außerdem duldeten die Kleriker, die sich in ihrem Deutungs-monopol eingerichtet hatten, keinen Angriff auf ihre Privilegien.

Zwar ist der Gottesbegriff historisch wie geopolitisch wandelbar, aber die Infragestellung der jeweils gültigen Normen führt meistens zu Konflikten. Dass die Götter als rachsüchtig imaginiert wurden, erstaunt nicht, da die Eigenschaften, die jene Kaste ihnen zusprach, eine Potenzierung der menschlichen Eigenarten darstellten. Patriarchen machten Götter nach ihrem Bilde. "Wenn Pferde einen Gott hätten, dann sähe er aus wie ein Pferd". Obwohl sich die Existenz Gottes selbst noch nicht beweisen ließ, scheinen Humor, Toleranz und Gleichmut nicht gerade zu seinen Eigenschaften zu gehören, sonst wäre Blasphemie als sakrale Majestäts-beleidigung nicht der wohl älteste Grund für Zensur und Unterdrückung von Andersdenkenden in den abrahamitischen Schriftreligionen Judentum, Christentum und Islam. Nur die Buddhisten sehen das deutlich entspannter.

Während früher gotteslästerliche Werke zumeist samt ihren Autoren den angeblich reinigenden Flammen übergeben wurden, war dies zumindest in westlichen Staaten seit der Aufklärung und der Trennung von Kirche und Staat nicht mehr ohne weiteres möglich.

In diesem Zusammenhang erlaube ich mir (mit Horst Herrmann) den Hinweis auf die Tatsache, dass Lessing, Kant, Nietzsche weder Staatsanwälte noch Scheiterhaufen benötigten, um ihr Denken durchzusetzen. Von daher gesehen beweisen Gläubige nur Schwäche: Wer nach der Polizei ruft, um seinen Gott zu schützen, zeigt sein Gesicht.

Ebenso erstaunlich ist, dass die persönlichen Gefühle gegenüber der nicht zu beweisenden Existenz eines höheren Wesens des staatlichen, strafrechtlichen Schutzes bedürfen. Denn § 166 StGB bewahrt seit der Strafrechtsreform von 1969 ja nicht Gott vor der Lästerung. Nebenbei: Ein Allmächtiger, der von seinen Geschöpfen gelästert werden kann, ist ein schwacher Gott. Benötigen Götter aber ihre unbefleckte Ehre, so sollen sie sich selbst um diese kümmern. Meinte vor 2000 Jahren ein römischer Kaiser.

"Der Glaube ist schwer greifbar, ein Gefühl auch, und wenn beides zusammenfällt, kann man eigentlich einpacken", meinte Der Spiegel angesichts der "Popetown"-Hysterie. Aber natürlich hat ein gepflegter Skandal auch einen nicht unerwünschten Werbeeffekt, und mit dem Tode bedroht wie zu voraufklärerischen Zeiten oder in orientalischen Gottesstaaten sind die Lästerer hierzulande nicht mehr. So kommt es zwar auch bei uns jährlich zu Dutzenden von Strafanzeigen und -prozessen, Verurteilungen sind aber eher selten.

Kommen wir nun zu einigen Streitfällen aus der Pop-Kultur. Beginnen möchte ich mit dem Film, der zwar als eine der wichtigsten Kunstformen gilt, sein Negativimage der Volksbelustigung aber nicht ganz ablegen konnte. Dies ist begründet in den Anfängen des "Kintopps" als Vergnügen der armen Leute auf Jahrmärkten. Die Obrigkeit befürchtete, durch die lebensnah bewegten Bilder könne eine nervliche Zerrüttung greifen, und die womöglich schlechten Vorbilder unmittelbar wirken.

Dies begründet die staatlichen Zensurbemühungen gegenüber Tabu-themen wie Sex, Gewalt und Religion. So wurden in Italien und Spanien Pasolinis Bibelsatire "La Ricotta" ("Der Weichkäse") wegen Blasphemie ebenso untersagt wie Bunuels "Viridiana", und noch 1998 wurde der mit sizilianischen Laiendarstellern gedrehte Film "Toto, der zweimal lebte" wegen Gotteslästerung verboten. Die wohl bekannteste Jesus-Satire „Das Leben des Brian“ der Monty Pythons kam vor allem wegen der Kreuzigungsszene in die Kritik („So schlimm ist Kreuzigen nun auch nicht – man ist wenigstens an der frischen Luft“). Der Film wurde in zahlreichen katholischen Ländern verboten. In Irland war er acht Jahre lang nicht zu sehen - in Italien hielt das Verbot sogar elf Jahre.

In Deutschland traf es vor allem "Das Gespenst": Herbert Achternbuschs Wiederauferstehungsgroteske von 1983 wurde zum Ärgernis. Zwar erhielt der Film eine "ab 18"-Freigabe der FSK; doch die Staatsanwaltschaft München erhob Anklage nach § 166 StGB. Insgesamt sollen damals über 2.000 (vorgefertigte) Anzeigen aus dem ganzen Bundesgebiet eingegangen sein. Das Verfahren wurde jedoch mit der Begründung eingestellt, "es fehle dem Film ein Mindestmaß an Format". Und weiter: "Hier kann die Frage, ob er als Kunstwerk zu qualifizieren ist, auf sich beruhen, da das, was gezeigt wird, noch nicht einmal dazu taugt, andere herabzusetzen", so die gönnerhafte bayerische Justiz. Österreich sah das anders; dort ist der schwarzweiße 93-Minüter bis heute verboten. Der Film – die Geschichte eines leicht verzweifelten Jesus Christus, der vom Kreuz in die Niederungen des Alltags hinabsteigt und sich unter anderem mit einer Oberin einlässt – wird noch vor der österreichischen Erstaufführung wegen „versuchter Herabwürdigung religiöser Lehren“ und Verspottung „der Person Jesus Christus“ (so kann er z.B. nicht im See baden, da er über Wasser wandelt) beschlagnahmt und schließlich verboten. Der Richter beruft sich, man beachte die Wortwahl, auf den “religiös normal empfindenden Durchschnittsbürger”. In Deutschland entzog der damalige Innenminister Friedrich Zimmermann die Filmfördergelder. Sie wurden erst nach zehnjährigem Rechtsstreit wieder zugebilligt.

Auch Werner Schroeters Verfilmung von Oskar Panizzas "Liebeskonzil" erregte die Gemüter. Das Skandalstück wird auf deutschen Bühnen kaum gegeben. So filmte man 1981 eine Inszenierung in Rom ab. In Österreich wurde der Film 1985 beschlagnahmt.

"Ave Maria": Das ursprüngliche Kinoplakat für den Film von Jacques Richard mit einer gekreuzigten Frau musste Mitte der 80er Jahre in Frankreich nach kirchlichen Protesten eingestampft und durch ein deutlich keuscheres Motiv ersetzt werden. Thematisch hätte die ursprüngliche Motivik durchaus gepasst, denn in dem Film wird dargestellt, wie ein pompöser Provinzpope sich als moralischer Großinquisitor an einem angeblich vom Teufel besessenen Mädchen delektiert.

"Maria und Joseph" (1985): Jean-Luc Godards Interpretation des Heilsgeschehens veranlasste sogar Papst Johannes Paul II., seine Zuflucht zum Beten eines Rosenkranzes zu nehmen. Viele Gläubige verurteilten den Film vor allem wegen der Darstellung der nackten schwangeren "Jungfrau". Es kam zu gewalttätigen Protesten. Kirchen-kritiker Gotthold Hasenhüttl meinte, nicht der Film sei blasphemisch, sondern die Reaktion der Kritiker.

„Die letzte Versuchung Christi“ (1988): Martin Scorseses Interpretation Jesu als verunsicherter und innerlich zerrissener Mensch, der sogar die Versuchung durch den Teufel in Betracht zieht, wurde als gotteslästerlich angesehen. Die Folge waren Stürme der Entrüstung von Seiten der Kirche und des Publikums. Bei diversen Premieren rissen Zuschauer ihre Sitze aus der Verankerung und schleuderten sie gegen die Leinwand. Zahlreiche Kinos weigerten sich, den Film zu zeigen, vereinzelte Vorführungen mussten wegen Bombendrohungen abgesagt werden.

"Larry Flynt - Die nackte Wahrheit" (1997): Das Plakatmotiv mit dem in Windeln vor einem weiblichen Schoß "gekreuzigten" Hauptdarsteller Woody Harrelson erregte nicht nur in den USA den Volkszorn. In Frankreich wurden die Plakate wieder abgehängt und auch in Deutschland wurden beispielsweise drei Filmredakteure des konserva-tiven "Westfalen-Blattes" (eine Art "Bayern-Kurier" Ostwestfalens) gekündigt, nachdem sie zu positiv über den später mit dem Goldenen Bären ausgezeichneten Berlinale-Beitrag berichtet hatten.

"Submission": Der provokante Film des Holländers Theo van Gogh (in Zusammenarbeit mit Ayan Hirsi Ali) geißelt die Unterdrückung der Frau im Islam, indem er Koransuren auf nackte und mit Peitschen-striemen verletzte Akten projiziert. Der Filmemacher wurde bekanntlich 2005 von einem Islamisten ermordet, nicht zuletzt wegen "Submission".

Gemessen daran war die Aufregung um "Sakrileg"/Der Da-Vinci-Code (2005) vergleichsweise harmlos: Die christliche Empfindlichkeit gegen eine Verhunzung ihrer Symbole und Glaubenssätze beschränkte sich auf protestierende Ordensschwestern und Gläubige, die die Dreharbeiten behinderten und Protestaufrufen. Der Film nach dem Bestseller von Dan Brown beschreibt unter anderem, dass Jesus Maria Magdalena heiratete und mit ihr ein Kind zeugte. Zudem kommt die Geheimorganisation Opus Dei nicht gut weg. Strenggläubige Christen fühlten sich provoziert. Nach gewonnenen Prozessen und belanglosen Boykottaufrufen besorgter Kleriker war der Siegeszug des Millionensellers nicht mehr aufzuhalten.

Kommen wir nun zur Satire: Tucholskys Grundsatz "Was darf Satire? - Alles", scheint im klerikalen Bereich nicht zu gelten. Kein Wunder: Ein humorloser Gott hält sich offenbar eine Horde humorloser Kleriker.

"Masochismus ist heilbar": Ein recht bekannter Fall ist der von Birgit Römermann, die in den 80er Jahren in mehreren Instanzen wegen dieses Aufklebers mit dem Kruzifix und dem Text "Masochismus ist heilbar" zu einer Geldstrafe verurteilt wurde.

Vor allem "Titanic" erregte oft und gerne den Zorn, etwa wenn das "endgültige Satiremagazin" titelte: "Der Papst kommt schon wieder". Ärger gab es, als das Münsteraner "Stadtblatt" dieses Motiv Mitte der 80er Jahre abdruckte und mit dem Hinweis versah, es zeige den heiligen Vater "rammelnderweise".

Titanic - Satiremagazin (1995) Titanic veröffentlichte auf dem Cover des Heftes 10/1995 unter der Überschrift “Spielt Jesus noch eine Rolle?” eine Fotomontage mit einem Kruzifix als Toilettenpapierhalter. Es folgte eine Strafanzeige durch die deutsche Bischofskonferenz wegen der Beschimpfung von religiösen Bekenntnissen. Verurteilt wurde das Magazin aber nicht.

"Ich war eine Dose" (1986). Hier erregte sich nicht die Kirche, sondern die Weißblechindustrie ob der unerwünschten Werbeaussage. Unterm Strich war das Ergebnis identisch: Das satirische Titanic-Poster wurde untersagt; die Abbildung geistert aber immer mal wieder durch die Presse, wie hier im „Spiegel“.

"Ratzinger will Jesus werden": Spötter Wiglaf Droste wurde vom WDR zensiert, als er 1997 in der Satiresendung "Mitternachtsspitzen" sein Gedicht "Ratzinger will Jesus werden" vortragen wollte, wo es u.a. heißt: "Willst du sein wie Jesus Christus / Nimm den Hammer, und dann bist du's! / Vergiss die langen Nägel nicht / denn du bist kein Leichtgewicht. / Schön zu sehn für alt und jung / ist die Eigenkreuzigung." Die Redakteurin blendete den Ton aus und "Störung" ein, da der Text gegen den WDR-Kodex verstoßen habe. Nun ist der Herr Professor zwar nicht Jesus, aber immerhin sein Stellvertreter hinieden geworden. Erstaunlicherweise durfte Droste das Gedicht bei der "Scheibenwischer"-Gala 2006 in der ARD ungestört rezitieren.

Nun zur Musik: ob "Sympathy for the Devil" (Stones), Marilyn Manson oder Heavy (insb. Black) Metal - die "Moral Majority" fürchtet gottlose, gar okkulte Neigungen und fordert gerne Verbote, wie Reto Wehrlis Buch „Verteufelter Heavy Metal“ belegt. Beim Elsrock-Festival 2007 im niederländischen Bibelgürtel mussten die Veranstalter zusichern, dass die auftretenden Bands "keine blasphemischen Wörter gebrauchen werden und die Ehre von Gottes Namen nicht beschmutzt wird", wie der Bürgermeister von Rijssen in seinem Genehmigungsschreiben verfügte. Zuwiderhandlungen würden strafrechtlich verfolgt (SZ, 21.3.2007).

Madonna: Nachdem es in Italien schon 1989 mit "Like a Prayer" (der Vatikan forderte ein Auftrittsverbot, das in Italien auch verhängt wurde) Ärger gegeben hatte, prüfte eine deutsche Staatsanwaltschaft 2006, ob es sich um Gotteslästerung handele, wenn sich Madonna zu ihrem Lied „Live to Tell“ an ein Kreuz hängt. Nach Besichtigung der Show kam Entwarnung. Das Concert durfte über die Bühne gehen. Die katholische Kirche beharrte auf ihrer Kritik: "Sich als Christus darzustellen, ist eine Anmaßung ohnegleichen", sagte ein Sprecher des Erzbistums Köln.

"Oomph": Die niedersächsische Band "Oomph" wurde wegen ihres Songs "Gott ist ein Popstar" von der Echo-Verleihung 2006 auf RTL ausgeladen; auch Radiosender wie EinsLive wollten den Song nicht ausstrahlen. Meine Befürchtung: Greifen solche Animositäten weiter um sich, wird man in Zeiten der Vogelgrippe Lieder wie "Alle Vögel sind schon da" und "Heile, heile, Gänschen" vom Sender nehmen müssen.

Vermutlich hatten die Gläubigen und ihre staatlichen Handlanger noch den Schlachtruf "Hardrock Hallelujah" im Ohr. Während Berufsbesorgte ein Auftrittsverbot wegen "Satanismus" forderten, gewann die finnische Hard Rock-Band "Lordi" 2006 den Eurovision Song Contest. Ironischer Schock-rock war im Mainstream angekommen.

Offenbar davon ermutigt, schlug der ansonsten so harmlose Schweizer Musikant DJ Bobo. 2007 in die gleiche Kerbe und setzte sich prompt in die Nesseln, da er sich nicht an die Spielregeln der seichten Unterhaltung hielt. Gegen seinen Beitrag für den Song Contest sammelten gläubige Eidgenossen um Nationalrat Christian Waber, wie ihresgleichen stets bereit, Ärgernis zu nehmen, rund 50.000 Unterschriften für eine Verbotspetition, da der Song "Vampires are alive" angeblich zu düster sei, den Teufel verharmlose, und labile Menschen zum Selbstmord verleite, u.a. wegen der Textzeile "Genieß mit mir den Weg vom Himmel zur Hölle und verkaufe deine Seele". Die Protestler forderten, der angeblich "okkulte" Beitrag solle zurückgezogen werden, da der öffentliche und der religiöse Friede gestört würden. Ende April lehnte der Bundesrat die Petition jedoch ab. Kommentar von Waber: "Die Bibel sagt, wir sollen Feinde segnen. In diesem Sinne wünschen wir DJ Bobo Segen von ganzem Herzen" (SZ, 24.4.2007). Das nutzte nicht viel, da der umstrittene Song nicht über das Halbfinale hinauskam.

Nun zwei Beispiele aus dem Comic-Bereich: Maester. Die zwei Comic-Zeichnungen zu "Schwester Maria-Theresa" von Maester sorgten 1994 für Aufregung in einer Kölner Galerie. Nach Anzeige des Generalvikariates unter Federführung von Kardinal Meisner beschlagnahmte die Polizei das in der Presse als "unkeusche Nonne" titulierte corpus delicti. Anstoß erregte, dass die Ordensfrau dem gekreuzigten Jesus in den Lendenschurz guckt und dabei die Augen verdreht. Die juristische Posse ging bis vor das OLG Köln und endete mit einem Freispruch. "Die neue Bildpost" titelte 1995 empört: "Skandal - Freispruch für Gotteslästerer!".

Gerhard Haderer: "Das Leben des Jesus": Der österreichische Cartoonist bekam Ärger wegen seines Bilderbuches, das den Heiland u.a. als Weihrauch-Junkie zeigt. Wegen Verunglimpfung einer Religionsgemeinschaft wurde er im Januar 2005 in Abwesenheit in Griechenland zu 6 Monaten Haft verurteilt. Das Urteil wurde im April 2005 aufgehoben und Haderer freigesprochen. Die Erzdiözese Wien organisierte freilich einen Boykott des Verlages von Haderer und zeigte ihn an. "Die Kirche sollte genug Humor haben, um zu sagen: Es ist eine Karikatur und keinen Kulturkampf wert", fand dagegen die evangelische Bischöfin Margot Käßmann.

Über die Reklamebranche wacht der Deutsche Werberat, der bei Verstößen Missbilligungen und öffentliche Rügen erteilt. Auch die Verletzung religiöser Gefühle kann ein Grund sein. So beanstandete der Rat 1981 den Slogan "Unser täglich Brot fällt nicht vom Himmel", mit dem ein Chemieunternehmen für besseren Dünger warb. Die kommerzielle Verwendung des Vaterunser verletze ebenso das religiöse Empfinden, wie die 1988 beanstandete Hörfunk-Werbung "Du sollst keinen anderen Sender haben neben mir". Verfremdete Bibelzitate dürfen nicht zu Reklamezwecken missbraucht werden.

Otto Kern: Jeansreklame. Nach kirchlichen Protesten, einer Abmahnung durch den Werberat und einem Gerichtsurteil musste 1993 der Modedesigner Otto Kern die Jeans-Reklame à la Leonardos "Letztes Abendmahl" vom Markt nehmen. Grund für die Erregung waren die weiblichen "Jünger", die lediglich eine Nietenhose tragen.

2005 adaptierte das französische Modehaus Girbaud das Abendmahl-Motiv in einer Inszenierung der Fotografin Brigitte Niedermaier (Abb. oben). Es zeigte sich, dass auch in anderen europäischen Ländern Werbung Ärger auslösen kann. Zunächst erregte es in dem von Berlusconi dominierten Mailand so großen Protest, dass die Stadt es im Februar 2005 verbot, "weil es die Grundlagen des christlichen Glaubens berührt". Als besonders anstößig wurde empfunden, dass die "Christus"-Figur ebenso wie die "Apostel" weiblich sind, und die einzige männliche Figur einen nackten Rücken zeigt.
Als Girbaud das Foto in Frankreich veröffentlicht, klagt auch die dortige katholische Kirche gegen die Eigentümer des Modelabels, Marithe und Francois Girbaud, wegen Blasphemie. Richter Jean-Claude Magendie gab der Kirche Recht und verbot das Motiv.
Er entschied, dass die Anzeige die religiösen Gefühle vieler Katholiken zutiefst verletze, und wies die Girbauds an, innerhalb von drei Tagen die Anzeigen von den Reklamewänden im ganzen Land entfernen zu lassen. Andernfalls drohe ihnen eine tägliche Geldstrafe von 100.000 Euro. Der Rechtsvertreter der katholischen Kirche, Thierry Massis, erklärt vor der Presse: „Wenn man die Fundamente einer Religion trivialisiert und das Heilige angreift, ist das eine unerträgliche Gewaltausübung.“
Nach einem Bericht der Online-Ausgabe der Vogue meinte er: «Die Verunglimpfung heiliger Dinge ist eine moralische Gewalttat, die gefährlich für unsere Kinder ist. Morgen sehen wir dann vielleicht eine Anzeige, auf der Christus am Kreuz Socken verkauft.»
Die Girbauds hingegen erklärten, sie seien schockiert von dem Urteil. Es sei nicht ihre Absicht gewesen, irgend jemandes Gefühle zu verletzen. Sie argumentierten, das zitierte Leonardo-Gemälde sei Teil des Weltkulturerbes. Laut Yahoo empfindet die französische Anzeigen- und Mode-Industrie das Gerichtsurteil als religiöse Zensur, die mit Frankreichs liberaler Tradition nicht vereinbar sei. (netzeitung)

Printwerbung für Popetown: "Lieber ablachen als rumhängen". Mit einem derart heftigen Medienecho hatte der Sender MTV nicht gerechnet. Schon die Werbung für die Trickfilmserie wurde zum Eklat. MTV entschloss sich, die Kampagne vorzeitig zu beenden. Der Werberat erteilte eine Missbilligung; eine strafrechtliche Verurteilung blieb allerdings aus. Das Landgericht München urteilte: "Nicht jede Veröffentlichung, mag sie auch geschmacklos oder schlicht dümmlich sein, ist geeignet, eine Beeinträchtigung des öffentlichen Friedens zu besorgen." Auf den Zeichentrick selber komme ich noch zu sprechen. Die in der gleichen Ausgabe von "TV Spielfilm" gedruckte Werbung mit Adam und Eva wurde übrigens nicht beanstandet, da sie die Grenzen der traditionellen Ikonographie nicht überschritt.

"Sieben Kilometer nach Jerusalem" (2007): Der Film erzählt die Geschichte eines Italieners, der auf der Suche nach dem Sinn des Lebens nach Jerusalem flieht und dort Jesus begegnet. Dem bietet er eine Coke zu trinken an. Jesus greift zu. "Was für eine Werbung!" denkt der edle Spender laut. Coca-Cola findet das nicht. Im Gegenteil: Der US-amerikanische Konzern fürchtet, sich mit Jesus als Kunden ein schlechtes Image einzufangen. Deshalb verlangte der Softdrink-Produzent mit Erfolg, die inkriminierte Szene aus dem Streifen herauszuschneiden. (Spiegel-Online, 9.4.2007).

Theater und Kunst: Das Maria-Syndrom: Mit Hilfe des sog. § 166 StGB wurde die Aufführung des Musicals „Das Maria-Syndrom“ von Michael Schmidt-Salomon, in dem eine neuzeitliche „Marie“ über einer verunreinigten Klobrille befruchtet wird und daraufhin einen Fall der unbefleckten Empfängnis annimmt, verboten.
Die Uraufführung dieses Stücks sollte am 28. Mai 1994 in Trier stattfinden. Einen Tag zuvor wurde die Aufführung vom Ordnungsamt verboten, das einem Antrag des Trierer Bistums folgte. Auch eine Aufführung vor einem „garantiert religionsgefühllosen Publikum“ wurde nicht zugelassen. Das anschließende Gerichtsverfahren ging über mehrere Instanzen: Das BVerwG bestätigte die Rechtmäßigkeit des Verbots des Stücks und folgte dem Oberverwaltungsgericht Koblenz. Das Bundesverfassungsgericht lehnte eine Behandlung des Falls ohne Angabe von Gründen ab.

1993 zeigte die Kölner Stunksitzung ein Kruzifix mit der Inschrift "Tünnes" anstatt „INRI“. Das Schild wurde nach einer Strafanzeige wegen Gotteslästerung polizeilich beschlagnahmt. Der Regisseur der Stunksitzung erhob gegen den anschließenden Strafbefehl über DM 6.000 Einspruch. Diesem wurde wegen des Vorrangs der Kunstfreiheit stattgegeben. 2006 war ein Sketch der Stunksitzung, bei dem es um Papst Benedikt XVI. und den Kölner Kardinal Meisner ging, erneut Gegenstand staatsanwaltlicher Ermittlungen. Der WDR schnitt das entsprechende Stück aus der Übertragung der Sitzung heraus.

Mozarts „Idomeneo“ in der modernen Inszenierung an Berliner Oper erregte 2006 die Gemüter, da in der Schlussszene die Häupter der geköpften Religionsführer aufgereiht wurden; darunter auch Mohammed. Dies nährte die Besorgnis einer Zuschauerin, Fundamentalisten könnte derlei zum Anlass für Sicherheitsgefährdendes nehmen. Die Polizei war alarmiert, die Opern-Chefin setzte in vorauseilender Angstsorge das Stück ab. Nun gab es keinen islamistischen Unmut, sondern die Demokraten sahen ihre Freiheitsrechte unterminiert. Nach großem Hin und Her wurde das Stück wieder auf den Spielplan gesetzt. Mutige Promis blickten entschlossen in die Kameras. Nichts passierte.

Martin Kippenberger: Fred Frog Rings The Bell aka „Zuerst die Füße“ (Plakat Abb. siehe oben): Nachdem Kippenbergers (+1997) Kunstwerk schon 1990 für Unmut gesorgt hatte, wiederholte sich der Ärger, als Veit Loers im Kontext der Bewerbung Regensburgs zur Kulturhauptstadt Europas 2010 mehr Mut zur Provokation forderte und auf Kippenbergers gekreuzigten Frosch verwies. Die katholische Kirche fühlte sich not amused und meinte: Provokation könne sinnvoll sein, aber nicht über den Versuch, christliche Symbole zu beleidigen. 2005 diente Kippenbergers gekreuzigter Frosch mit Maßkrug als Motiv für ein Plakat zur Premiere des Theaterstücks "Fegefeuer in Ingolstadt". Auf Druck von katholischen Kreisen zog das Volkstheater München das Plakat noch vor der Premiere im Januar 2005 zurück. Und noch 2008 erregte der Frosch in Bozen, Südtirol die Gemüter. Nach heftigen Protesten wurde er aus der Ausstellung „Peripherer Blick und kollektiver Körper" entfernt. Aus Protest gegen diese "Pervertierung des christlichen Kreuzes" war der SVP-Politiker und Landtagsabgeordnete Franz Pahl für eine Woche in Hungerstreik getreten. Es wurden 10.263 Unterschriften gegen die Skulptur gesammelt. Selbst der Vatikan hatte betont, dass das Kunstwerk "die religiösen Gefühle vieler Menschen verletzt hat, die im Kreuz ein Symbol der Liebe Gottes und unserer Rettung sehen". Die Kuratorin des Museions, Letizia Ragaglia, hatte zur Erläuterung gemeint, Kippenberger habe sich selbst in der Schaffensphase als Gekreuzigter gefühlt. Der Künstler hatte zum Zeitpunkt der Entstehung einen Alkohol- und Drogenentzug gemacht. (APA)

Fernsehen: RTL Samstag Nacht: Eine schrecklich heilige Familie (1996). Wegen des Sketches, bei dem ein toter Fisch mit der Bemerkung "So, in drei Tagen lebt er wieder" an ein Kreuz genagelt wurde, hagelte es Proteste, auch und vor allem von Kardinal Meisner und Militärbischof Dyba. Der "Focus" erregte sich, druckte aber gleichwohl die besten bösen Beispiele ab.

Popetown: Ein weiteres Beispiel für einen Sturm im Wasserglas zeigten die Aufregungen rund um die läppisch-infantile Zeichentrickfilmserie "Popetown". Der Papst mutierte vom Stellvertreter Gottes, Nachfolger Petri, unfehlbaren Bischof Roms und Chef von über einer Milliarde Katholiken nicht nur zum "Benedetto-Bravo-Starschnitt", sondern zum präpubertären Pop-Popen. Die vom alterprobten "Bekenne, sonst brenne" zum ohnmächtigen Oberhirten gewandelte Institution wurmte, ihre moralisch und politisch kaum noch abhängige Herde nicht mehr vor sich her treiben zu können.

Zur Chronologie: Schon vor der Ausstrahlung am 3. Mai 2006 sorgte die Papst-Satire auf MTV für Aufregung und Aufmerksamkeit bei den üblichen Verdächtigen. Vorsorglich beleidigte Katholiken wollten die in England produzierte - aber dort nie gesendete - Persiflage verhindern. MTV stoppte die Werbekampagne. Während Jugendschützer forderten, die Sache noch einmal zu überdenken, betonten die Jungen Liberalen die Pressefreiheit, forderte ein Bischof zum Boykott auf und wollte ein Erzbischof das Verbot des Comic-Papstes. Der CSU-Fraktionschef zeigte den Musiksender an; es wurde vergeblich versucht, eine einstweilige Verfügung gegen die Ausstrahlung zu erwirken. MTV sendete dann eine Folge mit anschließen-der Diskussionsrunde, die Der Spiegel treffend mit "Viel Weihrauch um nichts" kommentierte. Das Strafverfahren wurde eingestellt, die restlichen Episoden versendeten sich mit schwindender Aufmerksamkeit. Gleichwohl regte Bayern einmal mehr vergeblich eine Verschärfung des § 166 an.

Angesichts der Millionen Opfer von Kreuz und Schwert, Bibel und Feuer durch Inquisition, Folter, Kreuzzügen und sonstigen "Heiligen Kriegen", Conquista und Hexenprozessen, angesichts der tausend Titel auf dem Index der verbotenen Bücher muten die Empfindlichkeiten gegenüber einem lächerlich-albernen Pop-Popen ziemlich bizarr an.

Kunst: Chris Ofili: Hl. Jungfrau mit Dung (1999): und Renée Cox: In einer Ausstellung des Brooklyn-Museums zeigte Chris Ofili 1999 eine Arbeit, bei der er Maria als schwarze Frau darstellt, zu deren Accecoirs Elephanten-Dung und Ausschnitte aus pornographischen Zeitschriften gehören. Die Arbeit ist ein Mixed-Media-Werk, das Elemente byzantinischer Mosaiken, Bilder der populären Kultur und heiliger Symbole der Afrikaner enthält. Auch das Foto der schwarzen Künstlerin Renée Cox stieß 2001 auf Unverständnis, da sie unbekleidet in einer Segensgeste posiert, in der traditionell Christus dargestellt wird. Die Message: Schwarze und Frauen sind genauso Kinder Gottes und können seine Lehren verkörpern. Rudi Giuliani, damaliger Bürgermeister von New York, suchte die Ausstellung wegen der darin gezeigten "antikatholischen" Arbeiten zu verhindern und drohte mit der Kürzung des Museumsetats (SZ, 27.01.2001). Ab September hatte Giuliani dann andere Sorgen.

"My Sweet Lord" - Schokoladeskulptur im Roger Smith Hotel, New York, 2007: Das Manhattaner Hotel hielt es für eine gute Idee, in ihrer "Lab Gallery" ausgerechnet in der Karwoche eine lebensgroße Skulptur des nackten Gekreuzigten auszustellen. Aus Schokolade, in der Fastenzeit und der Leidenszeit Christi. Dies scheiterte nach massiven Protesten u.a. der katholischen Liga. Deren Vorsitzender, Bill Donhue, sprach von "einer der schlimmsten Verletzungen christlicher Gefühle, die es je gegeben hat" (SZ, 31.3.2007). Kardinal Edward Egan, Erzbischof von New York, sprach von einer "skandalösen Abbildung", von einer "wider-wärtigen Ausstellung". Und: "Die katholische Gemeinde ist durch diese Beleidigung unseres Glaubens gewarnt. Das ist etwas, was wir nicht vergessen werden " (SZ, 2.4.2007). Der künstlerische Leiter der Galerie nannte die Terminierung über Ostern lediglich "einen unglücklichen Zufall." Nicht bekannt ist, ob es sich beim Titel "My Sweet Lord" um eine Anspielung auf den gleichnamigen Song von George Harrison handelt. Die Beatles hatten sich in den 1960er Jahren schon einmal den Zorn amerikanischer Katholiken zugezogen, als John Lennon behauptete, sie seien bekannter als Jesus. Daraufhin verbrannten aufgebrachte Gläubige Schallplatten der Pilzköpfe und riefen zu Boykotten auf.

Auch bei anderen Werken gab es Ärger, z.B. bei Dorota Nieznalskas „Penis-Kruzifix“, das gegen polnische Blasphemie-Gesetze verstieß und zu Geldstrafe sowie zu sechs Monaten "eingeschränkter Freiheit" führte. Oder Alfred Hrdlickas „Leonardos Abendmahl“, der daraus eine Art Sex-Orgie machte, was dem Wiener Dommuseum zu viel war: Kardinal Schönborn ließ das Bild aus der Schau über das Werk von Hrdlicka entfernen. "In einzelnen seiner Werke beachtet er die unbedingte Schwelle der Ehrfurcht vor dem Heiligen nicht."

Alltagskultur: Karnevalswagen "Drei Jecken am Kreuz" (1996): Der 1996 für den Düsseldorfer Karneval geplante Themenwagen, der sich satirisch mit den Reaktionen auf das konträr diskutierte Kruzifix-Urteil des Bundesverfassungsgerichts auseinandersetzen wollte, wurde nach Protesten nicht verwirklicht. Bereits der umstrittene und in der Tagespresse veröffentlichte Entwurf von Jacques Tilly mit Gekreuzigten und Narrenkappen, über den ein "Helau" statt "INRI" steht, empörte viele Gläubige. OB Marlis Smeets (SPD) fasste den Unmut zusammen: "Bei aller Narrenfreiheit - aber es gibt bestimmte Themen, zu denen zähle ich auch christliche Symbole, die dürfen nicht zum Gespött gemacht werden." Übrigens wurde auch die Überschrift der taz zum Verfassungsgerichtsurteil "Kruzifix! Bayern ohne Balkensepp" vom Deutschen Presserat gerügt.

"jetzt" - Die auf eine Seite pro Woche reduzierte Jugendbeilage der Süddeutschen Zeitung wurde in den 90er Jahren heftig gerüffelt wegen einer Kolumne, in der Gott unter der Rubrik "Fünferbande der Totgesagten" neben Jim Morrison, Punk, Elvis und dem deutschen Film eingeordnet wurde. Dort hieß es: "Seine Anhänger treffen sich sonntäglich zum Absingen kitschiger Lieder, töpfern an Kirchentagen und brachten in seinem Namen Millionen Andersgläubige um. Dabei wurde Gott noch nie, sein Sohn zuletzt vor 2000 Jahren gesehen." Das Landeskomitee der Katholiken in Bayern erzürnte sich bei diesem "Ausdruck unverschämter Ignoranz und unerträglicher Beleidigung von Christen." Die Redaktion entschuldigte sich und versicherte dem Presserat, dass "eine derartige Entgleisung nicht mehr vorkommen wird."

Jesus-Faschingskostüm: Erfolg hatte eine Welle des Protestes gegen ein Jesus-Faschingskostüm. Die italienische Firma, die das von einem chinesischen Unternehmen produzierte Kostüm vertrieb, nahm das umstrittene Produkt aus dem Handel. Kirchenvertreter hatten es scharf kritisiert, das unter anderem aus einer Langhaar-Perücke und einer Plastik-Dornenkrone bestand. „Die Verleumdung der Religion ist ein Verbrechen“, sagte Bischof Velasio De Paolis, Sekretär des obersten kirchlichen Gerichtshofes. Kurienkardinal Achille Silvestrini sprach von einer „vulgären und unentschuldbaren Beleidigung“ für die Gläubigen.

"Koran-Klorollen": Im Februar 2006 wurde ein (mehrfach vorbestrafter) Frührentner aus Lüdinghausen wegen Beschimpfung eines religiösen Bekenntnisses und Störung des öffentlichen Friedens zu 12 Monaten Haft auf Bewährung und 300 Stunden Sozialarbeit verurteilt. Er hatte Toilettenpapier mit einem Stempel "Koran, der heilige Qur'an" bedruckt und es zusammen mit beleidigenden Schreiben an Moscheen und Fernsehsender verschickt. Außerdem bot er es zum Verkauf an, um mit dem Erlös eine "Gedenkstätte für alle Opfer des islamistischen Terrors" zu finanzieren. Neben der Verurteilung wurde er selbst von den Folgen seiner Tat eingeholt, da er wegen Drohungen seinen Wohnort wechseln musste.

Die Schmähung anderer Religionen erweist sich als besonders heikel: Beim Judentum rückt Blasphemie schnell in eine ungute Nähe zur NS-Ideologie; beim Islam befürchtet man Terror und Heiligen Krieg. Wie hoch die Emotionen kochen können, zeigen der Streit um die Mohammed-Karikaturen oder der Idomeneo-Eklat der Deutschen Oper. Der deutsch-türkische Comedian Kayar Yanar meinte, er würde nie wieder Witze über den Islam machen, nachdem er wegen eines harmlosen und nicht korankritisch gemeinten Kopftuchscherzes in seiner Sendung "Was guckst Du" Morddrohungen erhalten hatte.

"Resistance – Fall Of Man": Ein blutiges Computerspiel von Sony hat 2007 die Kritik der englischen Kirche auf sich gezogen. "Resistance – Fall Of Man" spielt in einer Kathedrale in Manchester, wo Aliens erschossen werden sollen. Nachdem englische Kirchenführer mit einer Klage drohten, zog Sony das Spiel zurück und entschuldigte sich.

Auch in Deutschland ruht der weltliche Arm der Macht nicht, wenn schwarze Schafe aus der Reihe tanzen. Kardinal Meisner ließ per Gerichtsbeschluss dem Kölner Kabarettisten Jürgen Becker unlängst untersagen, weiterhin zu behaupten, bei diesem Kirchenmann handele es sich um einen „Hassprediger“. Zuwiderhandlungen sollten bis zu EUR 250.000 kosten.

"Blasphemy Challenge": In den USA sorgte 2007 eine Kampagne namens "Blasphemy Challenge" unter Christlich-Konservativen für Empö-rung. Mittels Videobotschaft leugnen Atheisten die Existenz Gottes und begehen damit angeblich die einzige Sünde, die nicht von Gott vergeben werde (Markus 3, 29). Sowohl auf "Youtube" als auch auf ihrer Homepage haben die Initiatoren der "Blasphemy Challenge", das "Rational Response Squad", dazu aufgerufen, öffentlich den Heiligen Geist zu leugnen und sich als Atheist zu bekennen.

Tausende stellten ihre Gotteslästerung als Video online. Kritiker der Kampagne erklärten, dies sei ein direkter Angriff auf das Christentum und inakzeptabel. Befürworter des skurrilen Projektes hingegen meinten, dass man provozieren und eine öffentliche Diskussion über Glauben, Atheismus und den Status der Religionen in Gesellschaft und Politik anregen wolle. (SZ, 6.5.2007). Währenddessen wurde im Mai 2007 in Italien die Katholische Anti-Defamation-League gegründet. Gründer Pietro Siffi: "Die Angriffe reichen von Gotteslästerung über verbale Gewalt gegen die Kirche, Verleumdung des Papstes, ehrfurchtsloser Satire und historische Falschheiten. Es ist die Zeit gekommen, dass Katholiken reagieren." Als ein Beispiel nennt er die Konzerte von Madonna. "Diese Show beleidigt nicht nur die Katholiken, sondern alle Christen". Er ruft zu Boykottkampagnen auf. (Der Standard, Wien, 2. Mai 2007). "Frömmigkeit verbindet sehr, aber Gottlosigkeit noch viel mehr", meinte der Kirchen- und Religionsgegner Goethe in den "Zahmen Xenien".

Und als letzten Fall sei das bekannte „Ferkelbuch“ „Wo bitte geht’s zu Gott? fragte das kleine Ferkel“ von Michael Schmidt-Salomon und Helge Nyncke erwähnt. Dieses antireligiöse Kinderbuch sollte Ende 2007 auf den Index der Bundesprüfstelle, da die drei großen Religionen (insb. das Judentum) verächtlich gemacht würden. Selbst nachdem der Indizierungsantrag des Bundesfamilienministeriums in diesem Frühjahr abgewiesen worden war, verstummten die Stimmen der Mahner nicht. Es müsse endlich eine Schutzzone für die Religionen her.

Kehren wir nach diesen Beispielen zurück zu den Ausgangsfragen nach der Ästhetik und den Grenzen der Kritik. Worin liegt die Faszination, gerade in der Kulturbranche, die sonst immer dem hippsten Hype hinterherjagt, sich an tradierten Symbolen und Institutionen zu schaffen zu machen? Ist es der prickelnde Reiz, ein gleichsam heiliges Tabu zu übertreten? Handelt es sich gar um die grundsätzliche Kritik am Christentum? Oder geht es bloß um Aufmerksamkeit, die durch den Eklat reflexhaft provoziert wird?

Da man Gott selbst kaum lästern kann, werden stellvertretend sakrale Symbole verwendet, die im kulturellen Gedächtnis des christlichen Abendlandes noch tief verankert sind. Ist die blasphemische Verwendung des Kreuzes aber nur ein Eye-catcher für abgestumpfte Kids? Warum kann selbst eine Pop-Ikone (!) wie "Madonna-Like-a-Virgin" nach all den Jahren nicht von dieser Symbolik lassen? Die Ästhetik der Blasphemie greift - um als solche erkennbar zu werden - notwendigerweise althergebrachte Sakralbezüge wie Kruzifix, Abendmahl, Paradies und Papst auf und interpretiert sie ihrer Intention gemäß um.

Bedeutet dies, in Anlehnung an das psychologische Erklärungsmuster Schockenhoffs, „daß auch das Gott verspottende Kunstwerk letztlich nur Ausdruck der allerdings irregeleiteten Suche des Künstlers nach Gott ist“?

Kommen wir überhaupt aus der Zwickmühle heraus? Und die Kirche? Selbst nach Auffassung eines Ludwig Feuerbach hat sie, „als moralische Person ein Recht auf Ehre“. Muss sich die Religion alles gefallen lassen? Auch wenn die kirchlichen Reaktionen angesichts historischer Schuld scheinheilig wirken und die Anprangerung von kirchlichen Missständen gerechtfertigt bleibt, haben wir zu fragen, wie es mit den Gefühlen der Gläubigen stehe, denen die traditionellen Zeremonien, Riten und Symbole noch immer viel bedeuten? Und wie halten wir es mit Toleranz, interreligiöser Verständigung und dem sogenannten öffentlichen Frieden?

Für Papst Benedikt ist die Gottvergessenheit die ärgste Wurzel allen Übels. Wenn der Gesellschaft die Gottesfurcht und die Abwehrreaktion gegenüber künstlerisch verbrämter Gotteslästerung weithin abhanden gekommen sind, stehen damit die Werte des Abendlandes auf dem Spiel?

Das Verhältnis von Popkultur zur Religion ist ebenso ambivalent wie die menschliche Freiheit. Ist Blasphemie ein Missbrauch von Freiheit? Oder ist sie nicht auch ein Gewinn an Autonomie gegenüber den alten Fesseln der klerikalen Zurichtung? Sind Tabubrüche verdammenswerte "Kulte des Bösen"? Nicht nur im Islam ist die Sünde gegen Gott ein schweres Vergehen. Böswillige Gotteslästerer erwarte die gerechte Strafe: „Irret euch nicht, Gott läßt seiner nicht spotten! Denn was ein Mensch sät, das wird er auch ernten“ (Galater 6, 7).

Oder weisen Tabubrüche und „Blasphemien“ einen unverzichtbar aufklä-rerischen Impetus auf, einen humanistischen Charakter, der die selbstbestimmte Verbesserung der Lebensverhältnisse in den Mittelpunkt stellt und obsolete Zeremonien sowie die oft menschenverachtenden Tendenzen vieler Religionen zurecht anprangert?

Schnell befinden sich Blasphemiker in der Rolle von Klugscheißern, die sich für etwas Besseres halten, wenn sie die ihrer Meinung nach überkommenen Symbole veralbern. Ist nun aber Blasphemie automatisch ein Zeichen aufgeklärten und aufklärerischen Denkens? Oder steckt in ihr nicht auch ein Quentchen Intoleranz, wenn sie den Menschen in ihre Trostsuppe spuckt, indem sie die Symbole, die ihnen etwas bedeuten, madig macht?

Die eigentliche Blasphemie besteht m.E. in der Vereinnahmung des Begriffs des Absoluten für den Machterhalt, die Unterdrückung des menschlichen Potenzials durch Ausnutzung von Armut, religiöser Sehnsüchte und Trostbedürfnisse sowie in der Instrumentalisierung religiöser Gefühle z.B. für Kriege.

Angesichts der historischen und aktuellen religionsbedingten Katastrophen, Kriege und Morde erscheinen die hier geschilderten Formen von Blasphemie in der Popkultur zwar harmlos und die aufgeregte Reaktion eher albern. Doch jeder zieht andere Grenzen: Was dem Atheisten als Scherz auf die überkommenen Riten einer "Absolutionsbude" erscheint, kann anderen als Beschimpfung anmuten. Schwierig, einen Konsens über das Heilige zu finden.

Das alte Dilemma: Freiheit zur kritischen Meinung auf der einen, Religionsfreiheit und Schutz von verletzten Gefühlen sowie dem öffentlichen Frieden auf der anderen Seite. Im Völkerrecht z.B. ist die herrschende Meinung, dass Hassrede gegen und Diskriminierung von Minderheiten und Weltanschauungen sowie Aufstachelung zu Gewalt verboten sind, während es keinen Anspruch auf Individualrechtsschutz persönlicher religiöser Gefühle gibt. Kritik ja, aber keine verletzende Beschimpfung des Bekenntnisses anderer oder Verhöhnung gläubiger Mitmenschen. Eine agnostisch-tolerante Haltung erscheint mir auch bei der Blasphemie in der Popkultur ein möglicher Maßstab für die Grenzen zu sein.

Drei Schlussworte. „Religion ist Beweis für die Schwäche des Menschen, kein Argument für die Existenz Gottes“. (Sonja Zekri). Das Projekt der Humanisierung der Lebensverhältnisse kann laut Michael Schmidt-Salomon nur durch eine weltweite, religiöse Abrüstung gelingen, wobei bei der Dekonstruktion der Dogmen die wertvollen, nicht-religiösen Bestandteile der Religionen nicht verloren gehen dürfen. Und drittens möchte ich den Kabarettisten Jürgen Becker zitieren, der in seinem Buch "Ja, was glauben Sie denn?" meint: "Religion ist völlig harmlos, solange man sie nicht ernst nimmt."

Kommt allerdings drauf an, wo man sich befindet. Der Münsterander Karikaturist Ernst Kassenbrock warnte, gerade in der Bischofsstadt keine Witze über die Kirche zu machen, da die Wiedertäufer-Käfige am Lamberti-Kirchturm noch Platz für Spötter böten. Es bleibt spannend.

 


 


Dr. phil. Roland Seim M.A.
Kunsthistoriker und Soziologe

 




 

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