Der britische Schriftsteller Samuel Butler meinte: "Alle Lebewesen
außer dem Menschen wissen, dass der Hauptzweck des Lebens
darin besteht, es zu genießen."
Gutes Essen und Trinken können schon recht
hilfreich sein, die Ars vivendi zu erkennen. Doch da der Mensch
nicht nur vom Brot allein lebt, ist es logisch, zur Erfüllung
des Mottos "Mit allen Sinnen genießen", das sich
das renommierte Gourmet-Restaurant "La Vie" auf die Fahnen
geschrieben hat, seinen Gästen nicht nur Gaumenfreuden zu servieren,
sondern sie auch mit einem Augenschmaus zu verwöhnen.
Und was wäre dazu besser geeignet als Kunst, vor allem wenn
sie uns in so ansprechender Form begegnet, wie es die Ausstellung
"A la carte" zeigt. Zum erlesenen Ambiente passend aber
nicht angepasst, laden die Bilder und Skulpturen der Münsteraner
Künstlerinnen Ingrid Hormes, Sandra Silbernagel und Regina
Damovsky noch bis zum Jahresende zum Genießen, zum Savoir
Vivre, ein.
Die Parallelen zwischen Kunst und Kochen sind unübersehbar:
Beides hat mit Sinnlichkeit aber auch mit bewusster Komposition
und Ästhetik zu tun; beides ist subjektive Geschmackssache.
Hier wie da geht es um die kreative Gestaltung (Ideen bzw. Rezepte),
werden Rohstoffe bearbeitet und veredelt, seien es Farben, Bronze
oder Stein bzw. Fleisch, Fisch oder Gemüse. Erst die Kombination
der richtigen Ingredienzien lässt gelungene Kunstwerke respektive
Speisen entstehen. Ebenso wie Kunst mehr ist als bloße Dekoration,
soll Essen nicht nur satt machen. Essen ist ein Bedürfnis -
Genießen ist eine Kunst. Es geht vielmehr darum, die Sinne
anzuregen, ästhetische bzw. lukullische Bedürfnisse zu
befriedigen, Genüsse für Augen, Gaumen und Hirn zu bieten.
Entscheidender Unterschied ist, dass Kunstwerke dauerhafter sind
als flüchtige Speisen. Also macht es Sinn, die synenergetischen
und synästhetischen - also die ergänzende Gleichzeitigkeit
bereichernder Vorteile beider Aspekte - in einer Ausstellung zu
vereinen.
Beim Zusammentreffen der Kuratorin Ingrid Hormes vom Künstlerinnennetzwerk
Münster mit dem Geschäftsführer Hans-Peter Engels
handelt es sich um einen echten Glücksfall, ergänzen sich
hier doch zwei jeweils in ihrem Bereich kreative Menschen. Das im
denkmalgeschützten klassizistischen Bürgerhaus ansässige
"La Vie" gehört übrigens zu den 80 besten Restaurants
Deutschlands.
Auf den ersten Blick wirken die über zwei Etagen und mehrere
Räume verteilten gut 30 Arbeiten dekorativ im besten Sinne
- sie gefallen ohne gefällig zu sein. Wer sich näher auf
sie einlässt bemerkt, dass sie nicht nur das elegante Ambiente
bereichern, sondern die Besucher einladen, an der persönlichen
Sichtweise der Künstlerinnen teilzunehmen und in jeweils eigene
Welten entführen zu lassen.
Besonders augenfällig zeigen die Arbeiten von Ingrid Hormes
die thematische Nähe zum Ausstellungsmotto "A la carte":
Früchte, Meerestiere, Blumen und Gläser bilden die bevorzugten
Sujets der studierten Kunstpädagogin. Damit stehen ihre Ölgemälde
in einer langen kunsthistorischen Tradition, denn bereits antike
Fresken schmückten die Speiseräume mit Darstellungen von
Nahrungsmitteln und Gelagen. Auch die niederländische Malerei
des 17. Jahrhunderts schwelgte in üppigen Stilleben, prächtigen
Tafeln und z. B. Brueghels Darstellung der Schlemmereien im Schlaraffenland.
Von Arcimboldos barocken Portraits aus Obst und Gemüse, über
Manets "Frühstück im Freien" bis hin zu Dalis
Happenings, Warhols Suppendosen und der "Eat Art" - Kunst
und Essen gehören als kommunikativer Akt zur Lebensfreude.
Suchte die Moderne eher die Wahrheit hinter den sichtbaren Dingen,
so widmen sich Hormes' Arbeiten der sinnlichen Welt, der Einheit
von Kunst und Leben. Ihre Bilder beschränken sich aber nicht
nur auf die Abbildung von Zutaten, sondern zelebrieren den Reiz
des Natürlichen. In oftmals ungewöhnlichen Formaten zeigen
sie Ausschnitte aus alltäglichen Situationen wie einem gedeckten
Tisch oder einem Blick durchs Fenster. Die Ausschnitte, die in ihrer
prallen Fülle zu leben scheinen, verbreiten ein mediterranes
Flair. Fast schmeckt man die exotisch-saftige Säure ihrer Zitronen,
Orangen und Aprikosen auf der Zunge, will die cumberlandsaucenroten
Hummer und Fische berühren. Besonders möchte ich sie auf
die hervorragend gemalten Gläser hinweisen, deren strahlende
Klarheit mit ihren Spiegelungen, Brechungen und Lichtreflexen überzeugt.
Ein Fest der Sinne in intensiven Farben, an denen man sich kaum
satt sehen kann. Die Liebe zur Kunst geht bei Ingrid Hormes ganz
offensichtlich durch den Magen.
Ganz anders wirken die Basalt- und Bronze-Skulpturen der studierten
Steinbildhauerin und Kulturpädagogin Sandra Silbernagel. Sie
fasziniert die Ausdruckskraft, die geronnene Energie des harten
vulkanischen Materials, das sie selbst aus Steinbrüchen in
Südfrankreich und Iserlohn bricht. Dabei will sie dem widerstrebenden
Urgestein keine Gewalt antun, sondern den Ausdruckscharakter des
Steins herausfinden und unterstützen. Ihr Kredo ist die "Beseelung
des Stoffes durch Kunst". Sie respektiert dessen dunkle und
geheimnisvolle Struktur, die oftmals unvorhersehbare Einschlüsse
und Mineralien birgt. Mit Diamantsäge und Polierscheiben verleiht
sie dem Basalt überraschende Formen, haucht ihm gleichsam Leben
ein. Unglaublich, welcher Reichtum an geometrisch-kristallinen Strukturen
Silbernagel schafft, obwohl die Säge nur gerade Schnitte zulässt.
Alle Steinarbeiten bestehen aus massiven Basaltblöcken - nichts
wurde hinzugefügt. Allein durch das präzise Herauspräparieren
und Polieren entsteht die schwarze Färbung und die samtartige,
überraschend warme Oberfläche der erhabenen Dreiecksformen,
die eine Leichtigkeit suggerieren. Der spannende Kontrast (oder
besser Dialog) zwischen dem schroffen naturbelassenen Bruchstein
und seinen matt-glatt glänzend polierten Kuben reizt zum Anfassen.
Mit ähnlichen Überraschungen spielen ihre Bronzearbeiten
mit dem Titel "Aufgehoben", die auf gefalteten Papierfliegern
basieren. Mit Wachs überzogen und zum Guss gegeben vereinen
sie leichte Formen und schweres Material. Appliziert auf langen
Drähten schwingen sie bei Berührung leicht im Raum.
Ebenfalls das Leichte - aber mit völlig anderen Stilmitteln
- steht im Mittelpunkt des Schaffens der studierten Künstlerin
Regina Damovsky. Mit einer Mischtechnik aus Pastellkreide, Gouache
und Acrylfarbe schafft sie abstrahierte Traum- oder Seelenlandschaften,
die das Licht einfangen. Die hochwertige Kreide lässt sich
zu duftigen Farbschleiern verwischen, mit Wasser zu Verläufen
mischen oder pastos übereinander legen, wenn die Schichten
fixiert werden. Die glänzende Oberfläche von Acrylfarbe
steht im reizvollen Kontrast zum erdigen Charakter der Pastellkreide,
wodurch eine Tiefenwirkung entsteht. Andere Arbeiten wie "Blaue
Flammen" und "Sommersehnsucht" wirken skizzenhaft
luftig, während in dem Bild "Das Urtier" aus einem
wilden Strudel von blauen Strichen und Wogen das namensgebende Geschöpf
emportaucht. Damovsky geht es weniger um das Sichtbare, sondern
vielmehr um das Essenzielle, um Gefühle, Stimmungen und Befindlichkeiten,
um die Visualisierung flüchtiger Sinneseindrücke, die
schwer in Worte zu fassen sind. Selbst ihre Aktbilder zielen weniger
auf die Abbildung des Vorhandenen, sondern auf eine tiefere Wahrheit.
Ein weitere Werkgruppe befasst sich mit so genannten Verstrickungen,
die sie mittels übereinander gelagerter Schichten von farbintensiven
Pastellstrichen darstellt. Der Kontrast von dunklen und hellen Partien
lässt ihre meditativen Bilder leuchten.
Sie sehen - "A la Carte" an der Wand ist ebenso exquisit,
abwechslungsreich und anspruchsvoll wie auf dem Teller. Da aber
Schreiben über Kunst wohl ähnlich unbefriedigend ist wie
ein erzähltes Mittagessen, möchte ich hier schließen
und Ihre Aufmerksamkeit lieber auf den Kunstgenuss und das Ambiente
lenken. Ich danke Ingrid Hormes und ihren Künstlerkolleginnen
sowie dem Geschäftsführer Herrn Engels für ihre Einladung
und ihnen für ihre Geduld. Bon appetit!
Dr. Roland Seim
M.A.
Kunsthistoriker und Soziologe
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