Eröffnungsrede zur Ausstellung "A la Carte" am 25.10.2003 im "La Vie", Osnabrück

Ausstellung im Gourmet-Restaurant "La Vie"


Der britische Schriftsteller Samuel Butler meinte: "Alle Lebewesen außer dem Menschen wissen, dass der Hauptzweck des Lebens darin besteht, es zu genießen."

Gutes Essen und Trinken können schon recht hilfreich sein, die Ars vivendi zu erkennen. Doch da der Mensch nicht nur vom Brot allein lebt, ist es logisch, zur Erfüllung des Mottos "Mit allen Sinnen genießen", das sich das renommierte Gourmet-Restaurant "La Vie" auf die Fahnen geschrieben hat, seinen Gästen nicht nur Gaumenfreuden zu servieren, sondern sie auch mit einem Augenschmaus zu verwöhnen.

Und was wäre dazu besser geeignet als Kunst, vor allem wenn sie uns in so ansprechender Form begegnet, wie es die Ausstellung "A la carte" zeigt. Zum erlesenen Ambiente passend aber nicht angepasst, laden die Bilder und Skulpturen der Münsteraner Künstlerinnen Ingrid Hormes, Sandra Silbernagel und Regina Damovsky noch bis zum Jahresende zum Genießen, zum Savoir Vivre, ein.

Die Parallelen zwischen Kunst und Kochen sind unübersehbar: Beides hat mit Sinnlichkeit aber auch mit bewusster Komposition und Ästhetik zu tun; beides ist subjektive Geschmackssache. Hier wie da geht es um die kreative Gestaltung (Ideen bzw. Rezepte), werden Rohstoffe bearbeitet und veredelt, seien es Farben, Bronze oder Stein bzw. Fleisch, Fisch oder Gemüse. Erst die Kombination der richtigen Ingredienzien lässt gelungene Kunstwerke respektive Speisen entstehen. Ebenso wie Kunst mehr ist als bloße Dekoration, soll Essen nicht nur satt machen. Essen ist ein Bedürfnis - Genießen ist eine Kunst. Es geht vielmehr darum, die Sinne anzuregen, ästhetische bzw. lukullische Bedürfnisse zu befriedigen, Genüsse für Augen, Gaumen und Hirn zu bieten. Entscheidender Unterschied ist, dass Kunstwerke dauerhafter sind als flüchtige Speisen. Also macht es Sinn, die synenergetischen und synästhetischen - also die ergänzende Gleichzeitigkeit bereichernder Vorteile beider Aspekte - in einer Ausstellung zu vereinen.

Beim Zusammentreffen der Kuratorin Ingrid Hormes vom Künstlerinnennetzwerk Münster mit dem Geschäftsführer Hans-Peter Engels handelt es sich um einen echten Glücksfall, ergänzen sich hier doch zwei jeweils in ihrem Bereich kreative Menschen. Das im denkmalgeschützten klassizistischen Bürgerhaus ansässige "La Vie" gehört übrigens zu den 80 besten Restaurants Deutschlands.

Auf den ersten Blick wirken die über zwei Etagen und mehrere Räume verteilten gut 30 Arbeiten dekorativ im besten Sinne - sie gefallen ohne gefällig zu sein. Wer sich näher auf sie einlässt bemerkt, dass sie nicht nur das elegante Ambiente bereichern, sondern die Besucher einladen, an der persönlichen Sichtweise der Künstlerinnen teilzunehmen und in jeweils eigene Welten entführen zu lassen.

Besonders augenfällig zeigen die Arbeiten von Ingrid Hormes die thematische Nähe zum Ausstellungsmotto "A la carte": Früchte, Meerestiere, Blumen und Gläser bilden die bevorzugten Sujets der studierten Kunstpädagogin. Damit stehen ihre Ölgemälde in einer langen kunsthistorischen Tradition, denn bereits antike Fresken schmückten die Speiseräume mit Darstellungen von Nahrungsmitteln und Gelagen. Auch die niederländische Malerei des 17. Jahrhunderts schwelgte in üppigen Stilleben, prächtigen Tafeln und z. B. Brueghels Darstellung der Schlemmereien im Schlaraffenland. Von Arcimboldos barocken Portraits aus Obst und Gemüse, über Manets "Frühstück im Freien" bis hin zu Dalis Happenings, Warhols Suppendosen und der "Eat Art" - Kunst und Essen gehören als kommunikativer Akt zur Lebensfreude.

Suchte die Moderne eher die Wahrheit hinter den sichtbaren Dingen, so widmen sich Hormes' Arbeiten der sinnlichen Welt, der Einheit von Kunst und Leben. Ihre Bilder beschränken sich aber nicht nur auf die Abbildung von Zutaten, sondern zelebrieren den Reiz des Natürlichen. In oftmals ungewöhnlichen Formaten zeigen sie Ausschnitte aus alltäglichen Situationen wie einem gedeckten Tisch oder einem Blick durchs Fenster. Die Ausschnitte, die in ihrer prallen Fülle zu leben scheinen, verbreiten ein mediterranes Flair. Fast schmeckt man die exotisch-saftige Säure ihrer Zitronen, Orangen und Aprikosen auf der Zunge, will die cumberlandsaucenroten Hummer und Fische berühren. Besonders möchte ich sie auf die hervorragend gemalten Gläser hinweisen, deren strahlende Klarheit mit ihren Spiegelungen, Brechungen und Lichtreflexen überzeugt. Ein Fest der Sinne in intensiven Farben, an denen man sich kaum satt sehen kann. Die Liebe zur Kunst geht bei Ingrid Hormes ganz offensichtlich durch den Magen.

Ganz anders wirken die Basalt- und Bronze-Skulpturen der studierten Steinbildhauerin und Kulturpädagogin Sandra Silbernagel. Sie fasziniert die Ausdruckskraft, die geronnene Energie des harten vulkanischen Materials, das sie selbst aus Steinbrüchen in Südfrankreich und Iserlohn bricht. Dabei will sie dem widerstrebenden Urgestein keine Gewalt antun, sondern den Ausdruckscharakter des Steins herausfinden und unterstützen. Ihr Kredo ist die "Beseelung des Stoffes durch Kunst". Sie respektiert dessen dunkle und geheimnisvolle Struktur, die oftmals unvorhersehbare Einschlüsse und Mineralien birgt. Mit Diamantsäge und Polierscheiben verleiht sie dem Basalt überraschende Formen, haucht ihm gleichsam Leben ein. Unglaublich, welcher Reichtum an geometrisch-kristallinen Strukturen Silbernagel schafft, obwohl die Säge nur gerade Schnitte zulässt. Alle Steinarbeiten bestehen aus massiven Basaltblöcken - nichts wurde hinzugefügt. Allein durch das präzise Herauspräparieren und Polieren entsteht die schwarze Färbung und die samtartige, überraschend warme Oberfläche der erhabenen Dreiecksformen, die eine Leichtigkeit suggerieren. Der spannende Kontrast (oder besser Dialog) zwischen dem schroffen naturbelassenen Bruchstein und seinen matt-glatt glänzend polierten Kuben reizt zum Anfassen.
Mit ähnlichen Überraschungen spielen ihre Bronzearbeiten mit dem Titel "Aufgehoben", die auf gefalteten Papierfliegern basieren. Mit Wachs überzogen und zum Guss gegeben vereinen sie leichte Formen und schweres Material. Appliziert auf langen Drähten schwingen sie bei Berührung leicht im Raum.

Ebenfalls das Leichte - aber mit völlig anderen Stilmitteln - steht im Mittelpunkt des Schaffens der studierten Künstlerin Regina Damovsky. Mit einer Mischtechnik aus Pastellkreide, Gouache und Acrylfarbe schafft sie abstrahierte Traum- oder Seelenlandschaften, die das Licht einfangen. Die hochwertige Kreide lässt sich zu duftigen Farbschleiern verwischen, mit Wasser zu Verläufen mischen oder pastos übereinander legen, wenn die Schichten fixiert werden. Die glänzende Oberfläche von Acrylfarbe steht im reizvollen Kontrast zum erdigen Charakter der Pastellkreide, wodurch eine Tiefenwirkung entsteht. Andere Arbeiten wie "Blaue Flammen" und "Sommersehnsucht" wirken skizzenhaft luftig, während in dem Bild "Das Urtier" aus einem wilden Strudel von blauen Strichen und Wogen das namensgebende Geschöpf emportaucht. Damovsky geht es weniger um das Sichtbare, sondern vielmehr um das Essenzielle, um Gefühle, Stimmungen und Befindlichkeiten, um die Visualisierung flüchtiger Sinneseindrücke, die schwer in Worte zu fassen sind. Selbst ihre Aktbilder zielen weniger auf die Abbildung des Vorhandenen, sondern auf eine tiefere Wahrheit. Ein weitere Werkgruppe befasst sich mit so genannten Verstrickungen, die sie mittels übereinander gelagerter Schichten von farbintensiven Pastellstrichen darstellt. Der Kontrast von dunklen und hellen Partien lässt ihre meditativen Bilder leuchten.

Sie sehen - "A la Carte" an der Wand ist ebenso exquisit, abwechslungsreich und anspruchsvoll wie auf dem Teller. Da aber Schreiben über Kunst wohl ähnlich unbefriedigend ist wie ein erzähltes Mittagessen, möchte ich hier schließen und Ihre Aufmerksamkeit lieber auf den Kunstgenuss und das Ambiente lenken. Ich danke Ingrid Hormes und ihren Künstlerkolleginnen sowie dem Geschäftsführer Herrn Engels für ihre Einladung und ihnen für ihre Geduld. Bon appetit!



Dr. Roland Seim M.A.
Kunsthistoriker und Soziologe

Zurück zur Autorseite

Zur Datenschutzerklärung