Interview zum Thema Killerspiele
von Pierre Kretschmer mit Roland Seim (März 2007)
Interview zum Thema Killerspiele |
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P. Kretschmer 1) Was haben Sie bislang von der aktuellen Debatte über die sogenannten "Killerspiele" mitbekommen? Was wissen Sie über diese Spiele? R. Seim: Die ständig wiederholten Argumente sowohl der Befürworter als auch der Gegner von sog. "Killerspielen" in den aktuellen Diskussionen in Presse, Fernsehen und Internet legen den Eindruck nahe, dass schon praktisch alles zum Thema gesagt zu sein scheint. Letztlich handelt es sich um eigengesetzliche Lebenswelten, die vom Missverständnis für die jeweils andere geprägt sind. Erschreckend finde ich die Unkenntnis von vielen (vor allem konservativen) Politikern wie der NRW-Schulministerin Barbara Sommer, die bei weitgehender Ahnungslosigkeit um Ästhetik und Wirkungsweise gleichwohl Verbote fordern. Letztlich geht mir diese aufgeregte bis hysterische Debatte beider Seiten auf die Nerven: Politiker, Juristen und Pädagogen befürchten einmal mehr den Untergang des Abendlandes, den kollektiven Amoklauf sozialethisch desorientierter Baller-Kids, während die andere Seite schon bei dezenten Einschränkungen Zensur, Obrigkeitsstaat und das Ende der Kunstfreiheit aufdämmern sieht. 2) Welchen gesellschaftlichen Stellenwert hat momentan ein Computerspiel, das Gewalt darstellt, im Gegensatz zu anderen Medien, die Gewalt thematisieren? Welche Unterschiede in der Gewaltdarstellung können Sie bei Computerspielen identifizieren? Sind diese Unterschiede qualitativer oder quantitativer Natur? In Medien und Öffentlichkeit wird ja immer mal wieder
eine neue Sau durchs Dorf gejagt, wenn irgend ein tragischer Fall wie
der Amoklauf von Emsdetten passiert. Mal steht Kinderpornographie kurzfristig
im Brennpunkt des Interesses, mal ist es Rechtsrock oder Gewalt in Filmen.
Der bekannte Hauptunterschied zu anderen gewalthaltigen Medien ist ja,
dass man bei Ego-Shootern u.ä. gleichsam eine aktive Rolle einnimmt.
Gewalt wird hier als immanent positiv sanktionierte Strategie erlebt,
deren möglichst "kreativer" Einsatz unmittelbare Vorteile
bringt. Solange das in der virtuellen Sphäre stattfindet, dürfte
es unproblematisch sein, ja durchaus einen gewissen Katharsis-Effekt haben,
da das archaische Gewaltpotenzial im wirklichen Leben (bis auf einige
Sportarten) verpönt ist. Und das ist im übrigen auch gut so.
Bedenklicher wird es, wenn Jugendliche aus Neugier, Langeweile oder Perspektivlosigkeit
diese Mechanismen im realen Leben ausprobieren. Der Mangel an Empathie
(Einfühlungsvermögen in das Leid der Opfer), der im Spiel noch
cool war, hat im echten Leben üble Folgen. Aber da nutzen dann auch
Verbote nichts, zumal im Internet-Zeitalter. Da ist die Förderung
von Medienkompetenz aber auch die Verbesserung der Lebensverhältnisse
und -perspektiven von Jugendlichen wichtig. Auf der einen Seite wird beklagt,
dass die Deutschen immer weniger Nachwuchs bekommen, auf der anderen Seite
haben viele der Kids das Gefühl, keine Chance zu haben. Virtuelle
Medien (auch z.B. "Second Life") sind da eine Art Zuflucht in
ein Paralleluniversum mit klar überschaubaren Regeln. Während
man Filme und Fernsehen nur passiv konsumieren kann, erlaubt einem die
Virtual Reality aktive Gestaltungsmöglichkeiten. Und Gewalt ist auch
hier oftmals der einfachste Reflex, der am ehesten ein Vorankommen, einen
"Kick" verspricht. Einige Forscher meinen, im Gehirn werden
dabei ähnliche Belohnungszentren aktiviert wie beim Drogenkonsum,
so dass auch medialer Gewaltkonsum süchtig machen könnte und
das Verlangen nach höheren Dosen und härteren Reizen erhöhe.
So what?, entgegen die Spieler. Man kann nach praktisch allem süchtig
werden. Und solange man niemanden dabei stört, ist es harmloser als
etwa Zigarettenqualm oder Autoabgase. 3) Wie bewerten Sie die momentane Gesetzesoffensive zur Verschärfung des Jugendschutzgesetzes bezüglich Gewalt darstellender Medien aus der Sicht eines Kunsthistorikers und Soziologen? Der Ruf nach Gesetzen und Strafverschärfung ist ein
üblicher Reflex bei Überforderung mit komplexen Situationen.
Dabei ziehen sich die stark faszinierenden Reizthemen Gewalt, Sex und
Tod wie ein roter Faden durch die Kulturgeschichte. Man kann die Büchse
der Pandora aber nicht mehr schließen, sondern nur versuchen, den
Prozess der Zivilisation voran zu bringen. Dazu gehört allerdings
auch das Abstecken von Grenzen, auf die vor allem Juristen und Pädagogen
Wert legen. Wir sollten die Definition des Tolerierbaren nicht nur ihnen
überlassen, sondern uns als mündige Bürger in die Diskussion
einmischen. Wenn bessere Spiele gekauft würden, dann gäbe es
auch mehr davon. 4) Halten Sie ein eventuelles strafbewährtes Totalverbot von Gewalt darstellenden Medien (momentan gerade Computerspiele) für durchführbar und welche Konsequenzen hätte dies bspw. für den erwachsenen und jugendlichen Computerspieler? Schon heute ist mediale Gewaltverherrlichung durch §
131 StGB verboten. Der Paragraph wird zwar eher selten angewandt, aber
bei den Computerspielen sind z.B. "Mortal Kombat 1-3", "Wolfenstein
3 D" und "Manhunt" beschlagnahmt, während über
500 Titel indiziert sind. Ich kann mir nicht vorstellen, dass bereits
"Gewaltdarstellung" zum Kriterium für ein Totalverbot werden
könnte. Gesetze müssen ja auch durchgeführt werden, und
man kann schlecht Millionen von Bürgern kriminalisieren. Auch der
in der Diskussion neu eingeführte Begriff "gewaltbeherrscht"
verlagert das Definitionsproblem nur. Verbote sind kaum durchsetzbar,
wenn man sich die Sachen aus dem Netz herunterladen kann. 5) Gibt es Ihrer sowie kunsthistorisch
als auch soziologisch fundierten Meinung nach Gründe, Computerspiele
anders oder strenger zu bewerten als andere Medien wie Filme, Musik oder
Bücher? 6) Welche politische Empfehlung würden Sie als Wissenschaftler bezüglich der Medienbehandlung, gemessen an der aktuellen Gesetzeslage, aussprechen? Nach dem üblichen Anfangsaktionismus konservativer Politiker sollte die Regierung angemessen reagieren., d.h. alle Seiten anhören und besonnen entscheiden. Der überwiegende Teil aller Spiele ist ja harmlos und 99,9% aller Spieler ebenfalls. Man sollte also die Kirche im Dorf lassen. Die Erschwerung der Abgabe von "gewaltbeherrschten" Medien an Minderjährige ist durchaus sinnvoll. Es gibt Dinge, die nicht in Kinderhände gehören. Da ist die USK gefragt, die eine weitere Aufstockung mit wissenschaftlich geschultem Personal gebrauchen könnte. Schärfere Verbote für Erwachsene hingegen dürften wenig nutzen und sind schwer durchzusetzen. Einige Möglichkeiten wären: Schulprogramme zur Förderung von Medienkompetenz auch hinsichtlich der Qualität des ästhetischen Empfindens und des guten Geschmacks, Vermittlung von humaner Ethik, Kreativität und Empathiefähigkeit (aber womöglich auch eine Art von "Gewalttraining", um die Folgen seines Handels mal real zu erleben), Elternschulung in Sachen Neue Medien, finanzielle Unterstützung von intelligenteren und menschlicheren Computerspielentwicklungen als spannende Alternativen zu den üblichen Ballerspielen. Vielleicht wäre mal ein Schulprojekt sinnvoll, in dem die Kids selber ein PC-Spiel entwerfen können, das nicht nur die üblichen Mechanismen bedient. 7) Denken Sie, dass es in der Bewertung neuer Medien wie bspw. dem Computerspiel, das in den letzten Jahren eine beispiellose Verbreitung über PCs und Spielekonsolen gefunden hat, einen Generationenkonflikt zwischen Politikern und aktiven Nutzern gibt, der die in der heutigen Diskussion angesprochene und teils hysterisierte moralische Tragweite nicht adäquat thematisiert? Wenn ja, wie kann diesem Dilemma entgegengewirkt werden? Nun, es wundert schon, dass sowohl viele politische Entscheider
wie Günther Beckstein als auch wissenschaftliche Berater wie Christian
Pfeiffer sich als graue Eminenzen aufspielen. Aber sie haben in einer
pluralistischen Gesellschaft ja kein Deutungs- und Entscheidungsmonopol.
Da in den Kontrollgremien und den Medien durchaus auch kompetente Menschen
zugange sind, erscheint mir dieses Dilemma nicht so gravierend. Auch hier
gilt, dass sich die Bürgerinnen und Bürger einmischen sollten,
z.B. durch Diskussionen und Petitionen, wie sie etwa vom Medialog e.V.
angeregt werden. Vielen Dank Herr Dr. Seim für dieses ausführliche Interview. Die Fragen stellte Pierre Kretschmer von Medialog e.V. www.medialog-ev.de
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