Liebe Kunstfreunde,
ich bin nicht Herr Hallmackenreuter, der ihnen die Vorzüge
von Loriots Bauch-, Rücken- oder Seitenlage näher bringen
möchte, und dies ist weder die Deko für ein "Schöner
Wohnen"-Sonderheft, noch eine Star-Trek-Holo-Deck-Simulation,
sondern wir befinden uns im Atelier von Prof. Bijls Bildhauerklasse
in der Kunstakademie Münster.
Herzlich willkommen zur Ausstellung der Examensarbeit von Edith
Micansky.
Was auf den ersten Blick wie ein klassisches Wohnambiente (Foto
oben) daherkommt, entpuppt sich bei näherer Betrachtung als
ausgeklügelte Realitätsirritation herkömmlicher Warenästhetik
mit erheblichem Überraschungswert. Wenig in dieser Installation
ist so wie es scheint. Gut, der Teppich ist ein Teppich, die Pflanze
lebt, und die italienische Designer-Lampe ist tatsächlich eine
italienische Designer-Lampe (übrigens die Leihgabe eines Borkener
Lichthauses).
Aber schon der Fernseher macht seinem Namen nur scheinbar alle Ehre,
wenn er zwei einander abgewandte Touristen in der ägyptischen
Wüste zeigt, die zwar in die Ferne sehen - das allerdings als
Standbild. Die geschmackvollen Bilderrahmen sind leer bis auf zwei
Computerausdrucke, auf denen steht: "Sie benötigen einen
Browser, der Rahmen darstellen kann, um diese Seite anzuzeigen."
Schade eigentlich.
Schon der Titel "Macht Denken Flecken" macht Sinn wenn
man - wie Dr. Micansky - Medizinerin ist und sich das Gehirn im
PET anguckt. Besser ist das, denn ohne Zerebralflecken müssten
wir leider den Hirntod diagnostizieren. Und dann wäre das subtil
dekorierte Sofa (Foto) weniger ein Fall für den Kunstinteressierten
als für die akute Liegendaufnahme.
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Im Gegensatz zur Bildenden Kunst kann es bei der ärztlichen
schon mal zu Kunstfehlern kommen. Eine vergessene Schere,
salopp angenähte Teile, ein insgesamt suboptimaler Heilungsverlauf
führen dann schnell zum kalten Abgang.
"Ernst ist das Leben, heiter die Kunst", meinte
bereits Friedrich Schillers Wallenstein.
Übrigens nicht zu verwechseln mit dem in diesem Zusammenhang
deutlich passenderen Gallenstein (sorry, no jokes with names).
Denn bei dem dezent-pastellfarbenen, auf den Bezugstoff des
Sofas gedruckten Muster (linkes Foto) handelt es sich bei
näherer Betrachtung um die serielle Reihung eines Digitalfotos
der Gallenblasenoperationsnarbe der Künstlerin in Originalgröße.
Das erklärt dann auch den etwas sperrigen Titel "Post-Cholecystektomie".
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Jetzt wäre wohl der passende Augenblick, ein
Wort für das Gegenteil von Kunstfehler zu erfinden, denn genau
damit haben wir es bei den Werken von Micansky zu tun. Hier war
Verstand bei; da sitzt jede Naht an der richtigen Stelle. Allerdings
müssen wir genau hinschauen, denn ebenso wie der Kunstfehlerteufel
im Detail steckt, tut das auch sein namenloser Gegenpart.
Was will uns die Künstlerin damit sagen, werden sich nicht
nur die anwesenden Psychologen fragen. Die Ärztin als Patientin
als Künstlerin oder umgekehrt? Der beobachtete Beobachter?
Die Verbindung Medizin und Kunst mutet auf den ersten Blick gewagt
an:
Rational naturwissenschaftlich die eine; emotional, verspielt und
authentisch die andere. Dabei teilen medizinische Erkenntnisse und
deren bildliche Darstellung eine enge Beziehung. Doch weder handelt
es sich bei Micanskys Arbeiten um anatomische Dokumentationen, noch
um eine Kunsttherapie für Rekonvaleszenten oder gar das Abarbeiten
berufsbedingter Traumata. Und ebenso weit entfernt sind sie von
den plump-affirmativen "Körperwelten" eines Gunther
von Hagens. Vielmehr passt hier Lessing, der übrigens auch
Medizin studiert hatte: "Der Endzweck der Wissenschaft ist
Wahrheit, der Endzweck der Künste hingegen ist Vergnügen."
Was hoffentlich auch auf Ausstellungseröffnungsreden zutrifft,
obwohl es nun etwas ernsthafter wird.
Die Meisterschülerin von Guillaume Bijl verwendet zwar Aspekte
der einen Lebenswelt für die künstlerische Umsetzung in
der anderen, verwandelt aber den fragmentierten Körper als
Material ästhetischer Praxis so hintersinnig und originell,
dass daraus völlig eigenständige Werke entstehen. Die
Arrangements dieser medialen Dekonstruktion erschließen sich
dem Betrachter erst auf den zweiten Blick, da sie unsere Sehgewohnheiten
mit hintergründigem Witz in Frage stellen.
Kunsthistorisch betrachtet hat die Beschäftigung mit dem (eigenen
oder fremden) Körper eine lange Tradition, die etwa von Leonardos
anatomischen Studien, über den Wiener Aktionismus und die Body
Art bis hin zu Cindy Sherman, Jenny Holzer, Rebecca Horn, Mona Hatoum
oder Marina Abramovic reicht. Und hat nicht Prof. Timm Ulrichs bereits
1961 sich selbst als erstes lebendes Kunstwerk ausgestellt?
Die Unmittelbarkeit der Erfahrung des Körperbewusstseins im
Selbstexperiment macht die Haut als Grenzbereich zwischen dem Innen
und dem Außen zur Projektionsfläche, zu einem höchst
individuellen Kunst-Stoff, ja zum Gebrauchsgegenstand. Micansky
spielt virtuos mit unseren Assoziationen. Sie dreht die Welt gewissermaßen
um. So gesehen wird die Wohnung zu einer Erweiterung unseres Körpers.
Der Sofabezug verweist nicht nur auf die Haut, sondern er verwendet
sie sogar. Auf dieser zweiten Bedeutungsebene attackieren ihre Werke
unsere Erwartungshaltung gegenüber Wohnbefindlichkeiten (und
bei manchen Besuchern angesichts von soviel körperlicher Nähe
vielleicht auch Wohlbefindlichkeiten).
Doch weniger das im Hegel'schen Sinne Aufheben der Spuren von Verletzungen
und Manipulierbarkeit ist Micanskys Thema - sie appliziert ihren
Werken vor allem eine gehörige Dosis Ironie. So erhält
der elektrische Fliegentöter "Kill fast" plötzlich
eine neue Aussage, da das Insektenlogo zwischen den beiden Worten
entfernt wurde. Das verbliebene euroartige Strom-symbol mag als
Aufforderung gedeutet werden, eine Münze einzuwerfen...
Die hübsche Anrichte zur Linken ist weder Sideboard noch Vitrine,
sondern eine beleuchtete Darstellungsvorrichtung für die 32-teilige
Installation "Zahnung": Röntgenbilder von Kniegelenken,
die auf den Kopf gestellt und mittels verschiedenfarbiger Faserstifte
mit gezeichneten Fratzen versehen sind. Was im medizinischen Hörsaal
eher als Studentenulk durchginge und bei Patienten vermutlich einiges
Befremden auslösen würde, darf hier einen Werkcharakter
beanspruchen.
Übrigens ziert ein solches Bild auch den Bierdeckel unter ihren
Gläsern, die wir nun erheben möchten, um der Frau Doktor
zum bestandenen Kunstexamen und zu ihrer eindrucksvollen Ausstellung
zu gratulieren.
Schlussendlich wäre wünschenswert, wenn Edith Micanskys
Arbeiten auch in unseren Hirnen den ein oder anderen ausstellungstitelgebenden
Flecken des Denkens herbeiführten.
Dr. phil. Roland Seim M.A.
Kunsthistoriker und Soziologe
Zur Website der Künstlerin
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