"Macht Denken Flecken"

(C) 2004 Dr. Edith Micansky

 

Ausstellungseröffnungsrede für Edith Micansky

in der Kunstakademie Münster am 16.11.2004

Liebe Kunstfreunde,

ich bin nicht Herr Hallmackenreuter, der ihnen die Vorzüge von Loriots Bauch-, Rücken- oder Seitenlage näher bringen möchte, und dies ist weder die Deko für ein "Schöner Wohnen"-Sonderheft, noch eine Star-Trek-Holo-Deck-Simulation, sondern wir befinden uns im Atelier von Prof. Bijls Bildhauerklasse in der Kunstakademie Münster.

Herzlich willkommen zur Ausstellung der Examensarbeit von Edith Micansky.

Was auf den ersten Blick wie ein klassisches Wohnambiente (Foto oben) daherkommt, entpuppt sich bei näherer Betrachtung als ausgeklügelte Realitätsirritation herkömmlicher Warenästhetik mit erheblichem Überraschungswert. Wenig in dieser Installation ist so wie es scheint. Gut, der Teppich ist ein Teppich, die Pflanze lebt, und die italienische Designer-Lampe ist tatsächlich eine italienische Designer-Lampe (übrigens die Leihgabe eines Borkener Lichthauses).

Aber schon der Fernseher macht seinem Namen nur scheinbar alle Ehre, wenn er zwei einander abgewandte Touristen in der ägyptischen Wüste zeigt, die zwar in die Ferne sehen - das allerdings als Standbild. Die geschmackvollen Bilderrahmen sind leer bis auf zwei Computerausdrucke, auf denen steht: "Sie benötigen einen Browser, der Rahmen darstellen kann, um diese Seite anzuzeigen." Schade eigentlich.

Schon der Titel "Macht Denken Flecken" macht Sinn wenn man - wie Dr. Micansky - Medizinerin ist und sich das Gehirn im PET anguckt. Besser ist das, denn ohne Zerebralflecken müssten wir leider den Hirntod diagnostizieren. Und dann wäre das subtil dekorierte Sofa (Foto) weniger ein Fall für den Kunstinteressierten als für die akute Liegendaufnahme.

(C) 2004 Dr. Edith Micansky

Im Gegensatz zur Bildenden Kunst kann es bei der ärztlichen schon mal zu Kunstfehlern kommen. Eine vergessene Schere, salopp angenähte Teile, ein insgesamt suboptimaler Heilungsverlauf führen dann schnell zum kalten Abgang.

"Ernst ist das Leben, heiter die Kunst", meinte bereits Friedrich Schillers Wallenstein.

Übrigens nicht zu verwechseln mit dem in diesem Zusammenhang deutlich passenderen Gallenstein (sorry, no jokes with names). Denn bei dem dezent-pastellfarbenen, auf den Bezugstoff des Sofas gedruckten Muster (linkes Foto) handelt es sich bei näherer Betrachtung um die serielle Reihung eines Digitalfotos der Gallenblasenoperationsnarbe der Künstlerin in Originalgröße. Das erklärt dann auch den etwas sperrigen Titel "Post-Cholecystektomie".

Jetzt wäre wohl der passende Augenblick, ein Wort für das Gegenteil von Kunstfehler zu erfinden, denn genau damit haben wir es bei den Werken von Micansky zu tun. Hier war Verstand bei; da sitzt jede Naht an der richtigen Stelle. Allerdings müssen wir genau hinschauen, denn ebenso wie der Kunstfehlerteufel im Detail steckt, tut das auch sein namenloser Gegenpart.

Was will uns die Künstlerin damit sagen, werden sich nicht nur die anwesenden Psychologen fragen. Die Ärztin als Patientin als Künstlerin oder umgekehrt? Der beobachtete Beobachter?

Die Verbindung Medizin und Kunst mutet auf den ersten Blick gewagt an:

Rational naturwissenschaftlich die eine; emotional, verspielt und authentisch die andere. Dabei teilen medizinische Erkenntnisse und deren bildliche Darstellung eine enge Beziehung. Doch weder handelt es sich bei Micanskys Arbeiten um anatomische Dokumentationen, noch um eine Kunsttherapie für Rekonvaleszenten oder gar das Abarbeiten berufsbedingter Traumata. Und ebenso weit entfernt sind sie von den plump-affirmativen "Körperwelten" eines Gunther von Hagens. Vielmehr passt hier Lessing, der übrigens auch Medizin studiert hatte: "Der Endzweck der Wissenschaft ist Wahrheit, der Endzweck der Künste hingegen ist Vergnügen." Was hoffentlich auch auf Ausstellungseröffnungsreden zutrifft, obwohl es nun etwas ernsthafter wird.

Die Meisterschülerin von Guillaume Bijl verwendet zwar Aspekte der einen Lebenswelt für die künstlerische Umsetzung in der anderen, verwandelt aber den fragmentierten Körper als Material ästhetischer Praxis so hintersinnig und originell, dass daraus völlig eigenständige Werke entstehen. Die Arrangements dieser medialen Dekonstruktion erschließen sich dem Betrachter erst auf den zweiten Blick, da sie unsere Sehgewohnheiten mit hintergründigem Witz in Frage stellen.

Kunsthistorisch betrachtet hat die Beschäftigung mit dem (eigenen oder fremden) Körper eine lange Tradition, die etwa von Leonardos anatomischen Studien, über den Wiener Aktionismus und die Body Art bis hin zu Cindy Sherman, Jenny Holzer, Rebecca Horn, Mona Hatoum oder Marina Abramovic reicht. Und hat nicht Prof. Timm Ulrichs bereits 1961 sich selbst als erstes lebendes Kunstwerk ausgestellt?

Die Unmittelbarkeit der Erfahrung des Körperbewusstseins im Selbstexperiment macht die Haut als Grenzbereich zwischen dem Innen und dem Außen zur Projektionsfläche, zu einem höchst individuellen Kunst-Stoff, ja zum Gebrauchsgegenstand. Micansky spielt virtuos mit unseren Assoziationen. Sie dreht die Welt gewissermaßen um. So gesehen wird die Wohnung zu einer Erweiterung unseres Körpers. Der Sofabezug verweist nicht nur auf die Haut, sondern er verwendet sie sogar. Auf dieser zweiten Bedeutungsebene attackieren ihre Werke unsere Erwartungshaltung gegenüber Wohnbefindlichkeiten (und bei manchen Besuchern angesichts von soviel körperlicher Nähe vielleicht auch Wohlbefindlichkeiten).

Doch weniger das im Hegel'schen Sinne Aufheben der Spuren von Verletzungen und Manipulierbarkeit ist Micanskys Thema - sie appliziert ihren Werken vor allem eine gehörige Dosis Ironie. So erhält der elektrische Fliegentöter "Kill fast" plötzlich eine neue Aussage, da das Insektenlogo zwischen den beiden Worten entfernt wurde. Das verbliebene euroartige Strom-symbol mag als Aufforderung gedeutet werden, eine Münze einzuwerfen...

Die hübsche Anrichte zur Linken ist weder Sideboard noch Vitrine, sondern eine beleuchtete Darstellungsvorrichtung für die 32-teilige Installation "Zahnung": Röntgenbilder von Kniegelenken, die auf den Kopf gestellt und mittels verschiedenfarbiger Faserstifte mit gezeichneten Fratzen versehen sind. Was im medizinischen Hörsaal eher als Studentenulk durchginge und bei Patienten vermutlich einiges Befremden auslösen würde, darf hier einen Werkcharakter beanspruchen.

Übrigens ziert ein solches Bild auch den Bierdeckel unter ihren Gläsern, die wir nun erheben möchten, um der Frau Doktor zum bestandenen Kunstexamen und zu ihrer eindrucksvollen Ausstellung zu gratulieren.

Schlussendlich wäre wünschenswert, wenn Edith Micanskys Arbeiten auch in unseren Hirnen den ein oder anderen ausstellungstitelgebenden Flecken des Denkens herbeiführten.

 


Dr. phil. Roland Seim M.A.
Kunsthistoriker und Soziologe

 


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