Andy Warhol, Alex Katz

 

Ausstellungseröffnungsrede "American Pop Art"

in der Galerie Bilder Fuchs am 21.10.2011 in Fulda

Als Andy Warhol Ende der 70er Jahre auf Kupferplatten pinkelte, um das Ergebnis dieser Hervorbringungen als „Oxidations-Bilder“ 1982 bei der documenta 7 auszustellen, hatte der irritierende Realismus der Pop Art wohl seinen Höhepunkt erreicht.
Was wollte der Künstler damit ausdrücken, außer seine Blase?

Sollte Marcel Duchamps Dada-Ready-made „Fountain“ von 1917 symbolisch gefüllt werden? Trieb Warhol sein Diktum „All is pretty“ - alles ist gleich schön, es ist nichts dahinter, nur Oberfläche - auf die Spitze? Alles ist Kunst, was ein Künstler macht, und nichts ist Kunst? Man kann aus allem Geld machen? Solange es nur fresh, hip, cool und sexy ist.

Letztlich war es die konsequente Weiterentwicklung der Idee einer Massenkultur als Inspirationsquelle, bei der jeder beliebige Gegenstand und jede noch so alltägliche Handlung zu einem Kunstwerk gerinnen kann.

Ich danke Thomas Stock für die Einladung und begrüße Sie herzlich zur Ausstellung in der Galerie Bilder Fuchs. Ich freue mich, Ihnen verschiedene Positionen der American Pop Art nahebringen zu können. Wir sehen sehr unterschiedliche Künstler unter diesem Etikett vereinigt, wobei streng genommen nicht alle darunter fallen. Von Originalzeichnungen und -gemälden über Unikatdrucken bis zu signierten Lithografien und Siebdrucken sind rund 60 hochkarätige Werke versammelt.

Das Etikett „Pop Art“ erfand Lawrence Alloway 1958 für eine Bildidee, die 1956 von dem englischen Künstler Richard Hamilton entwickelt wurde (vgl. Osterwold 1989, S. 56). Dabei kann Pop mehrere Bedeutungen haben: von Hamiltons „Lollypop“ auf besagter Collage von 1956, über das englische Wort für „Peng“ bis zur Abkürzung von Populärkultur.

Warhol, Wesselman, Lichtenstein, Ramos

Der figurative Realist Alex Katz (*1927), hier vor allem mit seiner Originalzeichnung „Vivien with Flowers“ und „Grey Dress“ vertreten, war mit seinen flächenhaft vereinfachten, fast schablonenartig wirkenden Portraits ein Vorläufer der Pop Art. Allerdings längst nicht so erfolgreich. Zu der Zeit des abstrakten Expressionismus wollte seine wie bei Werbeplakaten auf das Wesentliche reduzierten Bilder niemand kaufen, zu cool und stylish wirkten die maskenhaft glatten Gesichtsausdrücke. Dabei hatte seine leidenschaftslos elegante Mischung aus Rationalität, Sinnlichkeit und Abstraktion einen großen Einfluss auf die Künstlerkollegen. Als Warhol die ersten Drucke seiner Marilyn-Reihe sah, soll er gesagt haben: „Mensch, die sehen ja aus wie von Alex Katz.“ (zit. nach dem Katz-Eintrag bei wikipedia.org)

Noch einflussreicher waren die Proto-Pop Artisten Jasper Johns und Robert Rauschenberg, die mit ihren Abfallcollagen, Flaggen oder Zielscheiben mächtig viel Staub im versnobten New Yorker Kunstbetrieb aufwirbelten und die Grenzen zwischen Leben und Kunst, von Hochkultur und Gebrauchsästhetik, Alltag und Museum, Supermarkt und Galerie einrissen. Es war die Zeit, als die Jugend mit Elvis, den Beatles und Stones die Welt eroberte, in der Jackson Pollocks Action Painting den Markt beherrschte.

Angesichts der heutigen Preise (im Mai 2011 brachte z.B. Warhols „Liz #5“ 27 Mio. Dollar; Lichtensteins „I can see the whole room...“ von 1961 soll bei Christies's im November bis zu 45 Mio. Dollar einspielen) mag es erstaunen, wie heftig Pop Art Anfang der 60er Jahre abgelehnt wurde. Was angesichts der enormen Wertsteigerung ziemlich viele Leute bedauern dürften. Die SZ schrieb 1963: „Pop Art, aus einer Zeitstimmung entstanden, in der Zufall und Zynismus sich hübsch ergänzen, ist nur als soziologisches Phänomen interessant.“ (nach Link 2000). Man hielt sie für belanglose „Eulenspiegelei“ und „Faschingsdekoration“ („Das Kunstwerk“, 1963), für banal-trivialen Kitsch des bürgerlichen Massengeschmacks, für materialistische Auswüchse der Unterhaltungs- und Reklameindustrie, für den vulgären Kapitalismus kaugummikauender US-Boys.

Nun, so ganz unrecht hatten die Kritiker freilich nicht, arbeiteten die meisten Pop Art Künstler doch tatsächlich als Werbegrafiker (Warhol), Reklamemaler (Lichtenstein) oder Cartoonisten (Wesselmann), Designer oder Schaufensterdekorateure und wollten provozieren.

Obwohl in der Werbung ziemlich erfolgreich, reichte Warhol (1928-1987) das Zeichnen von Schuhreklamen nicht. Er wollte Künstler sein und suchte Anfang der 60er Jahre nach einem Markenzeichen, das ihn unverwechselbar und berühmt macht. Ihm war klar, dass Image und Attitüde bei der Selbstinszenierung wichtig sind. Reflektieren bedeutete für ihn nicht nachdenken, sondern widerspiegeln. Als Werbefachmann wusste er um die Mechanismen der Aufmerksamkeitssteigerung: Die Bekanntheit der verwendeten Motive, die ständige Wiederholung, eingängige Slogans und die leichte Wiedererkennbarkeit des Stils, aber auch die PR-Wirkung eines ordentlichen Skandals, eines Tabubruchs.
Nur womit?

Rauschenbergs „Combine Paintings“ aus städtischem Müll - er erhielt 1964 als erster Amerikaner den Großen Preis auf der Biennale Venedig und ist hier mit „Statue of Liberty“ vertreten - oder Jasper Johns' Zielscheiben gab es schon; Roy Lichtenstein (1923-1997) hatte bereits riesig aufgeblasene Comic Strips mit ihren charakteristischen Halbton-Rasterpunkten („Ben-Day Dots“) als Stilmerkmal für sich etabliert. Seine Stereotypen thematisierten die Künstlichkeit der Kommunikation und griffen mit unpersönlicher Zurückhaltung das überhöhte Konzept traditioneller Kunst an. Ob Monet oder Mickey Mouse – alle sorgfältig gewählten Motive wurden gleichwertig behandelt und durch die Lochschablone gedrückt zu einem typischen Lichtenstein.

Auch die Reduktion auf konzeptuelle Schrift-Bilder gab es schon bei Ed Ruscha (*1937) und Robert Clark Indiana (*1928). Er gab auf die Frage, was „Pop“ für ihn sei, die Antwort, dass „Pop“ all das ist, „was die Kunst in den letzten Jahrzehnten nicht war. Im Grunde ist er eine scharfe Kehrtwendung zurück zu einer gegenständlichen visuellen Kommunikation. Er ist ‚Scheiß auf die Bombe‘. Er ist der Amerikanische Mythos, ein Traum, optimistisch, üppig und naiv …“. (zit. aus dem Indiana-Eintrag bei wikipedia.org). Seine Zeichen, die ‚hard-edge Pop art‘, sind die harten Kanten der Schilder, die in Amerika wachsen wie in Europa die Bäume. LOVE (hier u.a. „Love Cross“) ist zu einem Logo, einem positiven Symbol, geworden, das viele Aspekte aus Kunst, Konsum, Politik, Religion und Erotik vertritt. Inhaltlich reicht LOVE zurück auf die amerikanische Spiritualität des „God is Love“.

Auf der Suche nach einem noch freien Stil fragte Warhol 1961 eine Innenausstatterin nach einer zündenden Idee. „Für 50 Dollar gebe ich dir einen Tip“. Er zahlte und erhielt folgenden Rat: „Male, was du am meisten liebst, nämlich Geld und die Dosensuppen, die du seit 20 Jahren jeden Mittag isst“ (aus Shanes 2009, S. 41). Warhol war begeistert, kaufte sich im Supermarkt alle 40 Geschmacksrichtungen von „Campbell's Soup“ und malte sie zunächst auf Leinwand, möglichst leidenschaftslos vor weißem Hintergrund. Da das Abmalen sich als zu mühselig erwies - „Handmalerei ist Zeitverschwendung. Mit modernen Mitteln ist Kunst für jedermann erreichbar“ (aus Buchloh 1989, S. 38) - wählte er den Siebdruck, diese wohl mechanischste Reproduktionstechnik, als sein Markenzeichen, mit der er jede individuelle Handschrift sowie jede künstlerische Subjektivität tilgen und dank serieller Fertigung am meisten erzielen konnte. Als Gegenpol zu Pollocks „Ich will Natur sein“ sagte Warhol „Ich will eine Maschine sein“ (vgl. Warhols POPism). Mit einer Factory (Fabrik) als Atelier für die technische Reproduzierbarkeit.

Denn mit nichts ließ sich die klassische Ästhetik der saturierten Kunstszene besser herausfordern als wenn man Kunst zur Ware macht, indem man die Ware zur Kunst macht, mit dem Alltäglichsten der Popkultur, mit billiger Reklame, die von allen verachtet wurde. Die Transformation des Fetisch Ware in den Fetisch Kunst war der Skandal. Zumal, wenn die Quellen nicht verbrämt oder kreativ überhöht werden, sondern 1 zu 1 kopiert sind. Ob Mao oder Marilyn, elektrischer Stuhl oder Cola-Flasche: Warhol war alles gleich recht, solange die Aufmerksamkeit und die Kasse stimmten („Art Businessman or Business Artist“). „Kaufen ist viel amerikanischer als Denken. Und amerikanischer als ich kann man gar nicht sein.“ (zit. nach Bourdon 1982, S. 79).

Vor allem in späteren Portraits, die auf Polaroids beruhen, wurden lediglich Farbflächen und Akzentuierungen hinzugefügt. Sollte ursprünglich vom Kult der Marken, die jeder benutzte, und vom Ruhm der Stars, die jeder kannte, der Glanz auf ihn abstrahlen, so halten Kritiker die Auftragsarbeiten der 80er Jahre für einen Ausverkauf, da jeder reiche Nobody für 25.000 Dollar zum Bildmotiv werden konnte (vgl. Freitag 1993 und Zahner 2005). Und er fertigte hunderte davon pro Jahr. Die hier gezeigten Beispiele „Joseph Beuys“ (dessen Credo „Jeder Mensch ist ein Künstler“ Warhol sehr entgegenkam) und „Queen Margerethe II of Denmark“ fallen allerdings nicht darunter.
Blasse Farben, dezente Veränderungen.

Diese Herangehensweise erschien dem Kalifornier Mel Ramos (*1935) als zu blutleer. Er malte zunächst Comic-Helden (hier „Superman“ und „Fantomas“), kam ab 1963 über Cartoon-Heroinnnen wie „Wonder Woman“ zu seinem Markenzeichen: nackte Frauen. Ebenso sonnig saftig wie die Westküstenorangen seiner Heimatstadt Sacramento muten die prallen Pin-ups seiner feinmalerischen Bilder an. Zwar übernahm er von der Pop Art das Faible für Product Placement und Markenfetischismus (hier z.B. „Tootsie Roll“ und „Davidoff“), ironisierte die Aussagen aber, indem seine Scheinwerbung das Motto „Sex sells“ der Profiwerbung auf die Spitze trieb. Die perfekte Verpackung und Verführung durch Bikinistreifen-Girls und feucht schimmernde Waren entlarvt den Konsum als Ersatzbefriedigung. Doch grüblerische Negativität ist ihm fremd: „Ich liebe erregende Anblicke.“ (Ramos 1994, S. 42) So ist seine „Po Art“ ein ebenso humor- wie lustvoller Trip sowohl durch die Kunstgeschichte wie durch die Werbegraphik, der nicht nur in „God's Own Country“ zu Verboten führte. Seine „Unfinished Paintings“ sind die passende Antwort. Um Ärger zu vermeiden, malte er Aktdarstellungen in Anlehnung an kunsthistorische Motive, ließ sie aber bewusst unvollendet. Selbst in Köln hängte die Polizei 1967 während einer Ausstellung einige Bilder zu, da sie zu anstößig gewesen sein sollen. Und 1996 fühlte sich Claudia Schiffer als unfreiwilliges „Butterfinger“-Model in ihren Persönlichkeitsrechten verletzt, und ließ die Darstellung gerichtlich aus der Ausstellung einer Hamburger Galerie entfernen. Der Katalog musste an den entspr. Stellen geschwärzt werden (vgl. Seim 1997, S. 332, Abb. auf S. 543).

Mel RamosKeith Haring, Tom Wesselmann

Statt solcher fast unschuldiger Nuditäten steuerte der Brite Allen Jones (*1937) die Ästhetik der SM-Szene bei. Eine deutlich minimalistischere Erotik findet sich bei Tom Wesselmann, der alle Etiketten und Pop Art im besonderen ablehnte. Nach einem Psychologie-Studium arbeitete er zunächst als Cartoonist. Beides merkt man seinen lasziv posierenden Figuren, die zeichnerisch auf die wesentlichsten Konturlinien reduziert sind (hier „Pink“ und „Blue Nude“), auch ebenso an, wie sein Interesse für die Kunstgeschichte (hier „Still Life with Lichtenstein“). Von Tizian bis Matisse, von Giorgione bis Manet, von Michelangelo bis Modigliani reichen die abendländischen Traditionslinien seiner Aktdarstellungen, eine Sehnsucht nach dem verlorenen Paradies (vgl. Ward 1990). Aber Wesselmann will auch schockieren durch die optische und farbliche Betonung der erogenen Zonen, durch Freud'sche Symbole und die entindividualisierende Reduktion auf Mund, Brüste und Genitalien. Mitunter erinnern seine faltenfreien Akte an profillose Oberflächen manipulierter Marionetten in der Filmkulisse eines Werbespots fürs Schlaraffenland. Sein Schlüssellochblick auf prototypische „All american girls“ zeigt jenes Amerika der Wirtschaftswunderjahre, wie es die Massenmedien sahen. Sie sind weder Kritik noch sozialer Kommentar, sondern Zeitzeugen eines Lebensstils, in dem alles verfügbar schien.

Jim Dine (*1935) liebäugelte nur anfangs mit der Pop Art, wandte sich aber bald von ihrer distanzierenden kühlen Sachlichkeit ab und fand zu einer metaphorischen Ebene und einer eher emotionalen Wärme in seiner Kunst, die vom Ansatz her den abstrakten Expressionisten folgte. Besonders beliebt ist sein Bademantel als „alter ego“ und sein Zyklus mit den Herzen („The Blue Heart“), die – knapp am Kitsch vorbei – sowohl für die psychologische Selbstreflexion stehen als auch die grundlegenden Fragen des Menschseins beinhalten sollen.

Völlig andere Antworten auf ähnliche Fragen fand Keith Haring (1958-1990), ebenfalls ein Zeuge seiner Zeit (der 80er Jahre) und noch reduzierter in den künstlerischen Stilmitteln. „Pure Art exists only on the level of instant response of pure life.“ (zit. nach Melcher). Die piktogrammartigen Kürzel dieser Post Pop Art haben ihre Wurzeln in der Graffiti-Szene von Manhattans U-Bahn. Aus dem Underground einer virilen Gegenkultur kommend, hatte Haring leider nicht viel Zeit, seine symbolreich authentischen Arbeiten aus persönlichen und universellen Botschaften zu verwirklichen.

Obwohl viele Pop Art-Vertreter eine individuelle Handschrift vermeiden wollten, ist es erstaunlich, dass jeder seinen eigenen Stil schuf. Für einige, vor allem Warhol und Lichtenstein, war er eine Art Falle. Sie blieben darin gefangen und mussten sich immer wiederholen, um den Wiedererkennungswert des Marktes zu bedienen.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Leistung der Pop Art als eine Kunst der Zeichen, Signale und Symbole (vgl. Alloway 1984), die genau so eindimensional erscheinen wie die Massenmedien, vor allem darin besteht, mit ihren Zeitgeist-Ikonen die Grenze von Kunst und Leben durchlässig gemacht zu haben, Menschen für Kunst zu interessieren, die sie bis dahin elitär oder langweilig fanden.

Ich hoffe, meine Ausführungen waren keins von beiden, und danke Ihnen für die Warhol'schen 15 minutes of fame.

 

Verwendete und weiterführende Literatur:

Alloway, Lawrence: Roy Lichtenstein, München 1984
Bourdon, David: Andy Warhol, Köln 1982
Buchloh, Benjamin: Warhols eindimensionale Kunst, in McShine, Kynaston: Andy Warhol – Retrospektive, München 1989.
Freitag, Richard W.: Die amerikanische Pop-Art, Diss., München 1993
Link, Jochen: Pop-Art in Deutschland, Diss., Stuttgart 2000
Melcher, Ralph: Keith Haring – Heaven and Hell, 2001
Osterwold, Tilman: Pop Art, Köln 1989 (hier 2011)
Ramos, Mel: Pop Art Images, mit einem Text von Robert Rosenblum, Köln 1994
Seim, Roland: Zwischen Medienfreiheit und Zensureingriffen, Diss., Münster 1997
Shanes, Eric: Pop Art, New York 2009
Ward, Martina: Tom Wesselmann, Diss. Münster 1990
Warhol, Andy: POPism, 1980
Zahner, Nina Tessa: Die neuen Regeln der Kunst, Diss., Frankfurt 2005

 


© 2011 Dr. phil. Roland Seim M.A.
Kunsthistoriker und Soziologe

 


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