Als Andy Warhol Ende der 70er Jahre auf Kupferplatten
pinkelte, um das Ergebnis dieser Hervorbringungen als Oxidations-Bilder
1982 bei der documenta 7 auszustellen, hatte der irritierende Realismus
der Pop Art wohl seinen Höhepunkt erreicht.
Was wollte der Künstler damit ausdrücken, außer
seine Blase?
Sollte Marcel Duchamps Dada-Ready-made Fountain
von 1917 symbolisch gefüllt werden? Trieb Warhol sein Diktum
All is pretty - alles ist gleich schön, es ist
nichts dahinter, nur Oberfläche - auf die Spitze? Alles ist
Kunst, was ein Künstler macht, und nichts ist Kunst? Man kann
aus allem Geld machen? Solange es nur fresh, hip, cool und sexy
ist.
Letztlich war es die konsequente Weiterentwicklung
der Idee einer Massenkultur als Inspirationsquelle, bei der jeder
beliebige Gegenstand und jede noch so alltägliche Handlung
zu einem Kunstwerk gerinnen kann.
Ich danke Thomas Stock für die Einladung und
begrüße Sie herzlich zur Ausstellung in der Galerie Bilder
Fuchs. Ich freue mich, Ihnen verschiedene Positionen der American
Pop Art nahebringen zu können. Wir sehen sehr unterschiedliche
Künstler unter diesem Etikett vereinigt, wobei streng genommen
nicht alle darunter fallen. Von Originalzeichnungen und -gemälden
über Unikatdrucken bis zu signierten Lithografien und Siebdrucken
sind rund 60 hochkarätige Werke versammelt.
Das Etikett Pop Art erfand Lawrence Alloway
1958 für eine Bildidee, die 1956 von dem englischen Künstler
Richard Hamilton entwickelt wurde (vgl. Osterwold 1989, S. 56).
Dabei kann Pop mehrere Bedeutungen haben: von Hamiltons Lollypop
auf besagter Collage von 1956, über das englische Wort für
Peng bis zur Abkürzung von Populärkultur.
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Der figurative Realist Alex Katz (*1927), hier vor allem
mit seiner Originalzeichnung Vivien with Flowers
und Grey Dress vertreten, war mit seinen flächenhaft
vereinfachten, fast schablonenartig wirkenden Portraits ein
Vorläufer der Pop Art. Allerdings längst nicht so
erfolgreich. Zu der Zeit des abstrakten Expressionismus wollte
seine wie bei Werbeplakaten auf das Wesentliche reduzierten
Bilder niemand kaufen, zu cool und stylish wirkten die maskenhaft
glatten Gesichtsausdrücke. Dabei hatte seine leidenschaftslos
elegante Mischung aus Rationalität, Sinnlichkeit und
Abstraktion einen großen Einfluss auf die Künstlerkollegen.
Als Warhol die ersten Drucke seiner Marilyn-Reihe sah, soll
er gesagt haben: Mensch, die sehen ja aus wie von Alex
Katz. (zit. nach dem Katz-Eintrag bei wikipedia.org)
Noch einflussreicher waren die Proto-Pop Artisten Jasper
Johns und Robert Rauschenberg, die mit ihren Abfallcollagen,
Flaggen oder Zielscheiben mächtig viel Staub im versnobten
New Yorker Kunstbetrieb aufwirbelten und die Grenzen zwischen
Leben und Kunst, von Hochkultur und Gebrauchsästhetik,
Alltag und Museum, Supermarkt und Galerie einrissen. Es war
die Zeit, als die Jugend mit Elvis, den Beatles und Stones
die Welt eroberte, in der Jackson Pollocks Action Painting
den Markt beherrschte.
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Angesichts der heutigen Preise (im Mai 2011 brachte
z.B. Warhols Liz #5 27 Mio. Dollar; Lichtensteins I
can see the whole room... von 1961 soll bei Christies's im
November bis zu 45 Mio. Dollar einspielen) mag es erstaunen, wie
heftig Pop Art Anfang der 60er Jahre abgelehnt wurde. Was angesichts
der enormen Wertsteigerung ziemlich viele Leute bedauern dürften.
Die SZ schrieb 1963: Pop Art, aus einer Zeitstimmung entstanden,
in der Zufall und Zynismus sich hübsch ergänzen, ist nur
als soziologisches Phänomen interessant. (nach Link 2000).
Man hielt sie für belanglose Eulenspiegelei und
Faschingsdekoration (Das Kunstwerk, 1963),
für banal-trivialen Kitsch des bürgerlichen Massengeschmacks,
für materialistische Auswüchse der Unterhaltungs- und
Reklameindustrie, für den vulgären Kapitalismus kaugummikauender
US-Boys.
Nun, so ganz unrecht hatten die Kritiker freilich
nicht, arbeiteten die meisten Pop Art Künstler doch tatsächlich
als Werbegrafiker (Warhol), Reklamemaler (Lichtenstein) oder Cartoonisten
(Wesselmann), Designer oder Schaufensterdekorateure und wollten
provozieren.
Obwohl in der Werbung ziemlich erfolgreich, reichte
Warhol (1928-1987) das Zeichnen von Schuhreklamen nicht. Er wollte
Künstler sein und suchte Anfang der 60er Jahre nach einem Markenzeichen,
das ihn unverwechselbar und berühmt macht. Ihm war klar, dass
Image und Attitüde bei der Selbstinszenierung wichtig sind.
Reflektieren bedeutete für ihn nicht nachdenken, sondern widerspiegeln.
Als Werbefachmann wusste er um die Mechanismen der Aufmerksamkeitssteigerung:
Die Bekanntheit der verwendeten Motive, die ständige Wiederholung,
eingängige Slogans und die leichte Wiedererkennbarkeit des
Stils, aber auch die PR-Wirkung eines ordentlichen Skandals, eines
Tabubruchs.
Nur womit?
Rauschenbergs Combine Paintings aus städtischem
Müll - er erhielt 1964 als erster Amerikaner den Großen
Preis auf der Biennale Venedig und ist hier mit Statue of
Liberty vertreten - oder Jasper Johns' Zielscheiben gab es
schon; Roy Lichtenstein (1923-1997) hatte bereits riesig aufgeblasene
Comic Strips mit ihren charakteristischen Halbton-Rasterpunkten
(Ben-Day Dots) als Stilmerkmal für sich etabliert.
Seine Stereotypen thematisierten die Künstlichkeit der Kommunikation
und griffen mit unpersönlicher Zurückhaltung das überhöhte
Konzept traditioneller Kunst an. Ob Monet oder Mickey Mouse
alle sorgfältig gewählten Motive wurden gleichwertig behandelt
und durch die Lochschablone gedrückt zu einem typischen Lichtenstein.
Auch die Reduktion auf konzeptuelle Schrift-Bilder
gab es schon bei Ed Ruscha (*1937) und Robert Clark Indiana (*1928).
Er gab auf die Frage, was Pop für ihn sei, die
Antwort, dass Pop all das ist, was die Kunst in
den letzten Jahrzehnten nicht war. Im Grunde ist er eine scharfe
Kehrtwendung zurück zu einer gegenständlichen visuellen
Kommunikation. Er ist Scheiß auf die Bombe. Er
ist der Amerikanische Mythos, ein Traum, optimistisch, üppig
und naiv
. (zit. aus dem Indiana-Eintrag bei wikipedia.org).
Seine Zeichen, die hard-edge Pop art, sind die harten
Kanten der Schilder, die in Amerika wachsen wie in Europa die Bäume.
LOVE (hier u.a. Love Cross) ist zu einem Logo, einem
positiven Symbol, geworden, das viele Aspekte aus Kunst, Konsum,
Politik, Religion und Erotik vertritt. Inhaltlich reicht LOVE zurück
auf die amerikanische Spiritualität des God is Love.
Auf der Suche nach einem noch freien Stil fragte Warhol
1961 eine Innenausstatterin nach einer zündenden Idee. Für
50 Dollar gebe ich dir einen Tip. Er zahlte und erhielt folgenden
Rat: Male, was du am meisten liebst, nämlich Geld und
die Dosensuppen, die du seit 20 Jahren jeden Mittag isst (aus
Shanes 2009, S. 41). Warhol war begeistert, kaufte sich im Supermarkt
alle 40 Geschmacksrichtungen von Campbell's Soup und
malte sie zunächst auf Leinwand, möglichst leidenschaftslos
vor weißem Hintergrund. Da das Abmalen sich als zu mühselig
erwies - Handmalerei ist Zeitverschwendung. Mit modernen Mitteln
ist Kunst für jedermann erreichbar (aus Buchloh 1989,
S. 38) - wählte er den Siebdruck, diese wohl mechanischste
Reproduktionstechnik, als sein Markenzeichen, mit der er jede individuelle
Handschrift sowie jede künstlerische Subjektivität tilgen
und dank serieller Fertigung am meisten erzielen konnte. Als Gegenpol
zu Pollocks Ich will Natur sein sagte Warhol Ich
will eine Maschine sein (vgl. Warhols POPism). Mit einer Factory
(Fabrik) als Atelier für die technische Reproduzierbarkeit.
Denn mit nichts ließ sich die klassische Ästhetik
der saturierten Kunstszene besser herausfordern als wenn man Kunst
zur Ware macht, indem man die Ware zur Kunst macht, mit dem Alltäglichsten
der Popkultur, mit billiger Reklame, die von allen verachtet wurde.
Die Transformation des Fetisch Ware in den Fetisch Kunst war der
Skandal. Zumal, wenn die Quellen nicht verbrämt oder kreativ
überhöht werden, sondern 1 zu 1 kopiert sind. Ob Mao oder
Marilyn, elektrischer Stuhl oder Cola-Flasche: Warhol war alles
gleich recht, solange die Aufmerksamkeit und die Kasse stimmten
(Art Businessman or Business Artist). Kaufen ist
viel amerikanischer als Denken. Und amerikanischer als ich kann
man gar nicht sein. (zit. nach Bourdon 1982, S. 79).
Vor allem in späteren Portraits, die auf Polaroids
beruhen, wurden lediglich Farbflächen und Akzentuierungen hinzugefügt.
Sollte ursprünglich vom Kult der Marken, die jeder benutzte,
und vom Ruhm der Stars, die jeder kannte, der Glanz auf ihn abstrahlen,
so halten Kritiker die Auftragsarbeiten der 80er Jahre für
einen Ausverkauf, da jeder reiche Nobody für 25.000 Dollar
zum Bildmotiv werden konnte (vgl. Freitag 1993 und Zahner 2005).
Und er fertigte hunderte davon pro Jahr. Die hier gezeigten Beispiele
Joseph Beuys (dessen Credo Jeder Mensch ist ein
Künstler Warhol sehr entgegenkam) und Queen Margerethe
II of Denmark fallen allerdings nicht darunter.
Blasse Farben, dezente Veränderungen.
Diese Herangehensweise erschien dem Kalifornier Mel
Ramos (*1935) als zu blutleer. Er malte zunächst Comic-Helden
(hier Superman und Fantomas), kam ab 1963
über Cartoon-Heroinnnen wie Wonder Woman zu seinem
Markenzeichen: nackte Frauen. Ebenso sonnig saftig wie die Westküstenorangen
seiner Heimatstadt Sacramento muten die prallen Pin-ups seiner feinmalerischen
Bilder an. Zwar übernahm er von der Pop Art das Faible für
Product Placement und Markenfetischismus (hier z.B. Tootsie
Roll und Davidoff), ironisierte die Aussagen aber,
indem seine Scheinwerbung das Motto Sex sells der Profiwerbung
auf die Spitze trieb. Die perfekte Verpackung und Verführung
durch Bikinistreifen-Girls und feucht schimmernde Waren entlarvt
den Konsum als Ersatzbefriedigung. Doch grüblerische Negativität
ist ihm fremd: Ich liebe erregende Anblicke. (Ramos
1994, S. 42) So ist seine Po Art ein ebenso humor- wie
lustvoller Trip sowohl durch die Kunstgeschichte wie durch die Werbegraphik,
der nicht nur in God's Own Country zu Verboten führte.
Seine Unfinished Paintings sind die passende Antwort.
Um Ärger zu vermeiden, malte er Aktdarstellungen in Anlehnung
an kunsthistorische Motive, ließ sie aber bewusst unvollendet.
Selbst in Köln hängte die Polizei 1967 während einer
Ausstellung einige Bilder zu, da sie zu anstößig gewesen
sein sollen. Und 1996 fühlte sich Claudia Schiffer als unfreiwilliges
Butterfinger-Model in ihren Persönlichkeitsrechten
verletzt, und ließ die Darstellung gerichtlich aus der Ausstellung
einer Hamburger Galerie entfernen. Der Katalog musste an den entspr.
Stellen geschwärzt werden (vgl. Seim 1997, S. 332, Abb. auf
S. 543).
Statt solcher fast unschuldiger Nuditäten steuerte
der Brite Allen Jones (*1937) die Ästhetik der SM-Szene bei.
Eine deutlich minimalistischere Erotik findet sich bei Tom Wesselmann,
der alle Etiketten und Pop Art im besonderen ablehnte. Nach einem
Psychologie-Studium arbeitete er zunächst als Cartoonist. Beides
merkt man seinen lasziv posierenden Figuren, die zeichnerisch auf
die wesentlichsten Konturlinien reduziert sind (hier Pink
und Blue Nude), auch ebenso an, wie sein Interesse für
die Kunstgeschichte (hier Still Life with Lichtenstein).
Von Tizian bis Matisse, von Giorgione bis Manet, von Michelangelo
bis Modigliani reichen die abendländischen Traditionslinien
seiner Aktdarstellungen, eine Sehnsucht nach dem verlorenen Paradies
(vgl. Ward 1990). Aber Wesselmann will auch schockieren durch die
optische und farbliche Betonung der erogenen Zonen, durch Freud'sche
Symbole und die entindividualisierende Reduktion auf Mund, Brüste
und Genitalien. Mitunter erinnern seine faltenfreien Akte an profillose
Oberflächen manipulierter Marionetten in der Filmkulisse eines
Werbespots fürs Schlaraffenland. Sein Schlüssellochblick
auf prototypische All american girls zeigt jenes Amerika
der Wirtschaftswunderjahre, wie es die Massenmedien sahen. Sie sind
weder Kritik noch sozialer Kommentar, sondern Zeitzeugen eines Lebensstils,
in dem alles verfügbar schien.
Jim Dine (*1935) liebäugelte nur anfangs mit
der Pop Art, wandte sich aber bald von ihrer distanzierenden kühlen
Sachlichkeit ab und fand zu einer metaphorischen Ebene und einer
eher emotionalen Wärme in seiner Kunst, die vom Ansatz her
den abstrakten Expressionisten folgte. Besonders beliebt ist sein
Bademantel als alter ego und sein Zyklus mit den Herzen
(The Blue Heart), die knapp am Kitsch vorbei
sowohl für die psychologische Selbstreflexion stehen
als auch die grundlegenden Fragen des Menschseins beinhalten sollen.
Völlig andere Antworten auf ähnliche Fragen
fand Keith Haring (1958-1990), ebenfalls ein Zeuge seiner Zeit (der
80er Jahre) und noch reduzierter in den künstlerischen Stilmitteln.
Pure Art exists only on the level of instant response of pure
life. (zit. nach Melcher). Die piktogrammartigen Kürzel
dieser Post Pop Art haben ihre Wurzeln in der Graffiti-Szene von
Manhattans U-Bahn. Aus dem Underground einer virilen Gegenkultur
kommend, hatte Haring leider nicht viel Zeit, seine symbolreich
authentischen Arbeiten aus persönlichen und universellen Botschaften
zu verwirklichen.
Obwohl viele Pop Art-Vertreter eine individuelle Handschrift
vermeiden wollten, ist es erstaunlich, dass jeder seinen eigenen
Stil schuf. Für einige, vor allem Warhol und Lichtenstein,
war er eine Art Falle. Sie blieben darin gefangen und mussten sich
immer wiederholen, um den Wiedererkennungswert des Marktes zu bedienen.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Leistung
der Pop Art als eine Kunst der Zeichen, Signale und Symbole (vgl.
Alloway 1984), die genau so eindimensional erscheinen wie die Massenmedien,
vor allem darin besteht, mit ihren Zeitgeist-Ikonen die Grenze von
Kunst und Leben durchlässig gemacht zu haben, Menschen für
Kunst zu interessieren, die sie bis dahin elitär oder langweilig
fanden.
Ich hoffe, meine Ausführungen waren keins von
beiden, und danke Ihnen für die Warhol'schen 15 minutes of
fame.
Verwendete und weiterführende Literatur:
Alloway, Lawrence: Roy Lichtenstein, München
1984
Bourdon, David: Andy Warhol, Köln 1982
Buchloh, Benjamin: Warhols eindimensionale Kunst, in McShine, Kynaston:
Andy Warhol Retrospektive, München 1989.
Freitag, Richard W.: Die amerikanische Pop-Art, Diss., München
1993
Link, Jochen: Pop-Art in Deutschland, Diss., Stuttgart 2000
Melcher, Ralph: Keith Haring Heaven and Hell, 2001
Osterwold, Tilman: Pop Art, Köln 1989 (hier 2011)
Ramos, Mel: Pop Art Images, mit einem Text von Robert Rosenblum,
Köln 1994
Seim, Roland: Zwischen Medienfreiheit und Zensureingriffen, Diss.,
Münster 1997
Shanes, Eric: Pop Art, New York 2009
Ward, Martina: Tom Wesselmann, Diss. Münster 1990
Warhol, Andy: POPism, 1980
Zahner, Nina Tessa: Die neuen Regeln der Kunst, Diss., Frankfurt
2005
© 2011 Dr. phil. Roland Seim M.A.
Kunsthistoriker und Soziologe
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