Rechte Musik und Zensur - Wo liegen die Grenzen der Toleranz?

Vortrag auf Einladung des Jugendamtes Essen, 29.6.2005

Dass gerade das Stadtjugendamt Essen eine Diskussion über die Grenzen des Erlaubten in der Musik anregt, freut mich, stieß dieses Amt doch 1987 die Indizierung einer Ärzte-Platte an. Die Bundesprüfstelle folgte der Auffassung, "das Lied 'Geschwisterliebe' verletzt das Scham- und Sittlichkeitsgefühl und wirkt auf Kinder und Jugendliche sexualethisch desorientierend." ("BPS-Report", Heft 2/1987, S. 17). Selbst die unter dem Titel "Der Ritt auf dem Schmetterling" auf Konzerten gespielte Instrumentalfassung des pönalisierten Songs brachte "Die Ärzte" (Farin Urlaub d. i. Jan Vetter, "Bela B." Felsenheimer und "The Incredible Hagen") 1989 vor das Amtsgericht Kleve, weil sie ohne vorherige Alterskontrolle das Publikum aufgefordert hätten, den Text zu singen, wofür die Bandmitglieder zu Geldstrafen von je 20 Tagessätzen à 50 D-Mark verurteilt wurden (vgl. "BPS-Report", 2/1990, S. 7).

Während "Claudia hat 'nen Schäferhund" und "Schlaflied" mittlerweile vom Index genommen wurden, bestätigte die BPjM Ende 2004 erneut die Jugendgefährdung von "Geschwisterliebe" (BPjM-Aktuell, 1/2005, S. 9ff.). Diese Entscheidung erstaunt angesichts des Themas, dem wir uns heute widmen: Rechtsextremismus und Musik. War es für meine Generation, die in den 80er Jahren ihre Jugend erlebte, ziemlich cool, Die Ärzte zu hören, auch oder weil sie verboten war (und zu einem Kinderschänder bin ich gleichwohl nicht geworden), so haben wir es heute schon mit deutlich heftigeren Inhalten zu tun. Aber auch hier funktioniert der Reiz des Verbotenen immer noch.

Ich möchte meinen Vortrag mit einer Definition von Zensur, ihren Formen und Institutionen beginnen, dann kurz auf die "üblichen Verdächtigen" und die unterschiedlichen Empfindlichkeiten eingehen, um dann auf die Formen rechter Musik zu sprechen zu kommen. Eine Pointierung der Positionen pro und contra Zensur soll dann zu einer Diskussion über die Grenzen der Toleranz überleiten.

Grundsätzliches zur Zensurdefinition:
Kommunikationswissenschaftlicher Ansatz: Zensur im weitesten Sinn als Verhinderung oder Veränderung von Aussagen. Unterbindung oder Kanalisierung des Informationsflusses zwischen Sender und Empfänger.

Formen: Vor- und Nachzensur sowie Selbstzensur.

Besonderheiten:
Nicht die Musik selbst (Noten oder Melodien, es sei denn, es handelt sich um Nazi-Liedgut wie das Horst-Wessel-Lied), sondern Texte und Cover können zensiert bzw. indiziert oder verboten werden.
Es gibt keine FSK für Musik. Also achten Produzenten, Verbreiter (auch Radio/Musik-TV) darauf, bestimmte Grenzen nicht zu überschreiten. Kleine Labels mit illegalen rechten Inhalten agieren im Untergrund, im Ausland oder in Teilen des Internet.

Neuheit:
Mit der Verurteilung von "Landser" wurde erstmals in der Bundesrepublik eine Band als kriminelle Vereinigung nach § 129 StGB verboten und Musiker zu Haftstrafen verurteilt. Das Gericht meinte, der eigentliche Zweck ihres Wirkens sei die "konspirativ organisierte Verbreitung ihrer geminschaftlichen rechtsradikalen Ideologie durch Musik mit in hohem Maße strafbaren, insb. volksverhetzenden und die Bundesrepublik verleumdenden Inhalten." (Verfassungsschutzbericht 2003).

Staatliche Zensur: Jugendschutz (BPjM, jugendschutz.net), Strafrechtliche Äußerungsdelikte wie Gewaltverherrlichung, Pornografie, Volksverhetzung, Aufruf zu Straftaten, Unterstützung terroristischer Vereinigungen, Verwendung verfassungfeindlicher Symbole, Beleidigung (Gerichte, Staatsanwaltschaften, Polizei), Zivilrecht (Unterlassungsklagen, Schmerzensgeld, Schadenersatz) sowie Urheberrechtsverletzungen.

Wirtschaftszensur: Sendeboykotte, Ketten wie WoM oder WalMart nehmen manche Sachen nicht ins Programm. Musiktauschbörsen und Auktionsplattformen im Internet entfernen strafrelevante Medien.

Selbstzensur: Labels kürzen oder retuschieren, um Ärger zu vermeiden. Versionen für deutsche und ausländische Märkte.

Grundsätzliches zur Rockmusik:
Mehr als andere Bereiche wie Film und Literatur ist Rockmusik Jugendkultur, Protestbewegung, Ausloten der Grenzen in einem Generationenkonflikt. Durch Musikstile und Geschmacksurteile definieren sich Jugendliche und setzen sich voneinander, aber gelegentlich auch von herrschenden Gesellschaftsbildern ab. Provokation und Pop gehören zusammen wie Rock und Roll. Gerade Jugendliche zwischen Pubertät und Erwachsenenrolle sind auf der Suche nach Werten, Weltbildern und der eigenen Identität. Wenn sich niemand mehr aufregt, macht es auch weniger Spaß.

Zur Entwicklung der Empfindlichkeiten:
Die Empfindlichkeiten sind zeitgeistbedingt: Zu Beginn der Rockmusik vor ca. 50 Jahren rief sie eher bürgerliche Kreise und christliche Fundamentalisten auf den Plan, die die laute Musik und die extatischen Reaktionen auf die lasziven Bewegungen als unmoralisch, ja als Pforte zur Hölle anprangerten. Mit der Studentenbewegung seit den 60ern kamen freie Liebe, Drogen und mit der Punk-Bewegung Ende der 70er Jahre auch Politik als Themen hinzu. Mit dem Niedergang des Punk etablierten sich Skinhead-Musik und diverse Spielarten des Heavy Metal, an deren gewalthaltigen Inhalten und Posen seit den 80er Jahren Kritik geübt wird.
Seit den 90er Jahren versuchte der rechte politische Flügel Rockmusik für seine Zwecke zu vereinnahmen. Aktuell stehen die Provokationen des Battle- und Gangsta-Rap beim HipHop im Brennpunkt des Jugendschutzes. Obwohl Schmähgesänge gegen die Feinde und die Glorifizierung des Eigenen eigentlich ein altes Phänomen ist (Mittelalter), führen die expliziten deutschen Texte zu Zensureingriffen. Eine neue Bedrohung erhält der Rap durch rechte Inhalte, wenn der Feind schon im eigenen Land vermutet wird.
Nun, die Empfindlichkeiten gegen bestimmte Musikinhalte verlaufen nicht linear, sondern wellenförmig, je nachdem welche "Sau durchs mediale Dorf gejagt wird".

Die Hauptgründe bleiben ähnlich: Sex, Gewalt, Drogen, politischer Extremismus. Rechtradikale Inhalte werden als Einstiegsdroge für ein unerwünschtes Weltbild bekämpft. Nicht nur die Inhalte, sondern auch die Verbote sind ein Spiegel der gesellschaftlichen Befindlichkeiten, ein Seismograph für Zeitgeist und Wertewandel.

Was sind die Merkmale rechter Musik?
Das bekannte Charakteristikum von Jugendkultur, Protest und Rockmusik macht rechte Musik in den Augen des Staates und der Pädagogen so gefährlich, denn Musik eignet sich gut als Medium für politische Botschaften, für Indokrination. Gerade rechte Ideologien bedienen sich der affirmativen und Zugehörigkeitsgemeinschaft stiftenden Wirkung von Rockmusik, kombinieren sie aber mit fragwürdigen, sozial unerwünschten bis strafbaren Inhalten. Die Szene-Band "Sturmwehr" beschreibt das Verhältnis so: "Musik ist unsere Waffe, gefährlicher als Panzer und Granaten" ("Unsere Musik", 2000). Der harte Kern ist allerdings eher klein (man schätzt ca. 10.000). Für die meisten Skinhead-Fans sind politische Aussagen relativ unwichtig, wobei die Grundhaltung aber schon national sein dürfte. Konzerte, Klamotten, Fußball, Freundschaft und Saufen sind zumeist wichtiger. Die Szene ist heterogen. Zu unterscheiden sind etwa die "Nazi-Skins" oder "Boneheads", die "Hammer-Skins" (elitäre "White Pride"-Attitüde wie die "White-Power-Skins"), "Oi-Skins", "Redskins" und "SHARP-Skins" (antirassistische).

Form und Inhalt: Längst nicht mehr nur Glatze, Bomberjacke, Springerstiefel und Skin-Musik. Vielmehr Lifestyle-orientiert. Alte Werte, gemixt mit Germanenmythologie. Die meisten CDs und Bands sind musikalisch anspruchslos und billig produziert. M.E. gefährlicher sind die technisch gut gemachten Tracks. Subversiv geplante Konzerte, deren Veranstaltunsorte per Handy oder Internet in der In-Group kommuniziert werden. CD-Handel mit entschärften Texten oder Originaltexten aus dem Ausland. Internet-Foren.

Themen: Rassismus (vor allem gegen Farbige und Türken), Antisemitismus, Gewaltaufforderung, ausländerfeindliche Texte, antidemokratisches Ablehnen des politischen Systems der Bundesrepublik, gegen Linke, Schwule, Autonome, Punks etc.


Die wichtigsten Formen rechter Musik sind:

Alt-Nazi-Liedgut: Horst-Wessel-Lied, NS-Militärmärsche etc.

"Nationalistische Bänkelsänger" wie Frank Rennicke: Orientieren sich im Habitus, in Melodie, Vortragsweise und Versmaß an bürgerliche oder linke Liedermachern wie Reinhard Mey und Hannes Wader. Nur die rührselig-schwülstigen Texte und der oft kämpferisch-animierende Vortragsstil künden von den Zielen: Der Glorifizierung der deutschen Heimat, des deutschen Soldaten etc. Sie legen den Begriff der "entarteten" Kunst der Nazis zugrunde und propagieren einen neuen (bzw. alten), reinrassigen, gesunden Herrenmenschen mit althergebrachten Geschlechterrollen (Reinhaltung des Erbgutes, Mutterrolle, gesunder Nachwuchs etc.). Verstehen sich als deutsche Alternative zur MultiKulti-Gesellschaft, die ihrer Meinung nach abgeschafft gehört. Das ist umso bedenklicher, wenn man Umfrageergebnisse hört, dass ca. 50-60% aller Deutschen mehr oder weniger latent ausländerfeindlich sind. Die mehr oder weniger versteckt nationalistischen Inhalte machen diese formal gemäßigte Musik in den Augen der Staats- und Jugendschützer besonders gefährlich, da nicht nur radikale Fans angesprochen werden, sondern auch der Biedermann zum geistigen Brandstifter werden könnte.

Skinhead-/Bonehead-Bands: Von Skrewdriver bis Landser.
Bei den billig produzierten und dilettantisch gespielten Skin-Bands stehen die braunen Texte im Vordergrund. Patriotismus wird zu unverhohlenem Nationalismus und Fremdenhass. Die aggressive Musik soll Gewaltbereitschaft verdeutlichen und dient als "jugendkulturelles Anbiederungsmedium" (Reto Wehrli). Klar faschistoide Bands, die ihre Ideologie bereits in Bandnamen wie "Arisches Blut", "Endsieg", "Gestapo", "Reichssturm" oder "Zyklon B" zum Ausdruck bringen, sprechen aber nur eine kleine Subkultur der Zu-kurz-Gekommenen und Unterprivilegierten an. Bands wie Landser sind deswegen so gefährlich, weil sie ihre Instrumente beherrschen, professionelle Musik und eingängige Melodien zustande kriegen, die die menschenverachtenden Texte länger im Gedächtnis haften lassen.

Black-Metal- und Gothic-Bands mit NS-Ideologie, z.B. "Eugenik", "Totenburg", "Absurd" und "Weissglut". Satanismus, völkische Ideologien und Mythologien.

Remixes von bekannten Songs und Schlagern mit rechten Texten, z.B. "Zillertaler Türkenjäger" ("12 Doitsche Stimmungshits" wie "Kreuzberger Nächte" und "An der Nordseeküste") und "Bonzenjäger" ("Gute Zeiten, Schlechte Zeiten").

Rechter HipHop: in den "Battle-Raps" der HipHopper geht es ums Niedermachen und Schmähen. Tabubrüche sind beliebte Stilmittel. Rechtsideologie ist ein gesellschaftliches Tabu, das immer noch funktioniert. Fraglich, ob Rap wegen seines migrantischen Hintergrundes per se tatsächlich multikulti und eher links ist. Von den tatsächlich rechten wird die angesagte Musikform okkupiert, um ihre Inhalte rüberzubringen. Kalkulierte Provokationen mit rechten Symbolen wie "Fler" es mit seiner "NDW" versucht, dürften eher ein geschickter PR-Gag in Dumme-Jungen-Manier, denn eine gefährliche Indoktrination sein.

Widerspruch:
Die Betonung von "weißer Herrenrasse", die den "Kanaken" überlegen sei, bedient sich der Mittel der "Negermusik", deren ursprünglich schwarze Wurzeln im R'n'Roll, R&B, Jazz, Ska, Reggae bis hin zu HipHop liegen: Stilrichtungen, die im beschworenen "3. Reich" verboten waren bzw. wären.Die staatlichen Verbote werden als Zensur beklagt; in den Texten sind die Bands aber selbst für Zensur von Andersdenkenden.

Besonderheit:
Während frühere Jugendkulturen und Musikrichtungen eher unpolitisch (Pop, Rock) oder anarchisch/links (Punk) waren, besteht die Besonderheit beim Rechtsrock darin, dass die Zielgruppen durch mehr oder weniger eindeutige Texte und Gruppenerlebnisse bzw. -zwänge politisiert werden sollen. Sie finden gewissermaßen eine Heimat Gleichgesinnter, fühlen sich aufgehoben, verstanden und akzeptiert. Orientierungshilfen bei Weltbildern. Gemeinschaftserleben - sei es am Lagerfeuer mit der Blut+Boden-Mentalität eines Rennicke oder einer Annett, sei es beim Bad in der grölenden Menge bei einem dynamischen Skinhead-Konzert. Das Hautgout des Verbotenen tut ein Übriges.

Ursachen für rechte Musik:
Neben dem bekannten Phänomen der juvenilen Schocklust am Provokanten in einer Mainstream-dominierten, seichten ("Schni-Schna-Schnappi"), konsumorientierten, erlebnisarmen, postmodernen Leistungsgesellschaft des "anything goes" bieten gerade in den neuen Bundesländern Armut und Perspektivlosigkeit aber auch ein gewisser Grad an Dummheit einen fruchtbaren Nährboden für Ressentiments. Vor allem in Zeiten des Werteverfalls und der Rezession, wenn nicht mehr "anything goes", finden Rattenfänger Zulauf. Einfache Parolen und Lösungen für komplexe Probleme des Kapitalismus' und der Globalisierung bieten scheinbare Orientierung. Da liegt es auf der Hand, dass rechte Parteien diese Musikrichtungen als beliebte Propagandamittel nutzen, um Jugendliche zu ködern. "Einstiegsdroge". Dumpfe Ängste z.B. vor Überfremdung durch Ausländer werden bei Unzufriedenen geschürt. Häufig handelt es sich bei den Texten um vertonte Stammtischparolen und Boulevard-Zeitungsschlagzeilen (Deutschland muss ordentlicher, sauberer, männlicher werden, möglichst wenig Fremde, Asis, Kritiker und Probleme).
Doch nicht jeder Rechtsrock-Fan oder Hakenkreuzschmierer ist ein Nazi. Dieses Symbol ist eines der wenigen, das leicht und schnell provoziert und reflexhaft skandalisiert.

Was ist so schlimm an rechter Musik?
Die Verknüpfung von Rockmusik mit Rechtsideologie kündigt den für frühere Jugendkulturen identitätsstiftenden Konsens auf, Rock sei per se politisch progressiv/rebellisch gestimmt (Klaus Farin). Das irritiert. Häufig ist rechte Musik nur die jugendkulturelle Begleitmusik bedrohlicherer Szenarien und rechtsideologischer Parteien wie NPD und DVU, die damit bei ihrem proklamierten "Kampf um die Köpfe, die Straße und die Parlamente" orientierungslose Heranwachsende ködern wollen. "Kameradschaften" usw. sollen gruppendynamische Zugehörigkeitsgefühle und "deutsche" Identität herstellen. Bedenklich ist zudem, dass nicht selten Waffen, Sprengstoffe und personenbezogene Steckbriefe z.B. bei Gruppierungen wie "Blood & Honour" und "Combat 18 Pinneberg" (C 18 ist der Name des bewaffneten Armes von Blood & Honour, und steht für die Initialen von Adolf Hitler) gefunden werden. Angesichts der etwa "nur" 10.000 Intensivfans mag diese befremdliche Jugendkultur für die erwachsene Mehrheitsgesellschaft eine Art Sündenbock darstellen, an dem der allgemeine Rechtsruck geahndet werden kann.

Staatliche Maßnahmen:
Zahlreiche Strafgesetze ahnden sog. Äußerungs- oder Propagandadelikte. Verstöße gegen die Verfassung (z.B. Völkerverständigung und Demokratie) und die Menschenwürde aber auch gegen den Jugendschutz führen zu Indizierungen, gerichtliche Verbote, Razzien, Beschlagnahmungen/ Einziehungen von verbotenem Material. Anklagen auch wegen §§ 129, 129a, 130, 130a StGB. Vereins- und Organisationsverbote z.B. bei "Skinheads Sächsische Schweiz" (SSS) (trotz des gescheiterten NPD-Verbotsverfahrens).

Organe: BPjM, Polizei, Gerichte, Verfassungsschutz.

Zahlen:
Die meisten der 450 Musik-Indizierungen der BPjM betreffen rechtsextreme Tonträger. Ebenso verfügen die Gerichte Beschlagnahmungen/Einziehungen am häufigsten gegen solche CDs. Derzeit (Mai 2005) sind 55 Tonträger nach §§ 86a, 130 und 130a StGB beschlagnahmt. Als erste Platte wurde die LP "Der nette Mann" der Gruppe "Böhse Onkelz" 1986 verboten, allerdings wegen Gewaltverherrlichung und nicht wegen Rechtsextremismus.

Das Dilemma der Freiheit - Wo liegen die Grenzen?:
"If liberty means anything at all, it means the right to tell people what they do not want to hear." (George Orwell) Auch und gerade rechtslastige Interpreten wie die Band "Oidoxie" (Dortmund) nehmen Art. 5 GG für sich in Anspruch und denken "Musikfreiheit ist Meinungsfreiheit". Sie beklagen deren Einschränkung als Zensur. Wenn man aber mit Rosa von Luxemburgs Diktum, dass Freiheit immer auch die Freiheit des Andersdenkenden sei, ernst macht, dann gerät eine Gesellschaft in das Dilemma einer Aporie, wie frei die Gegner der Freiheit handeln dürften, und wie tolerant man gegenüber den Feinden der Toleranz sein darf.

Vor allem das Problem des Rechtsextremismus wirft viele Fragen auf, insbesondere nach den Ursachen der Entstehung, aber auch danach, was eine Demokratie aushalten können muss, und wo - ggf. zensorische - Grenzen zu ziehen sind. Rechte Ideologien entstehen nicht im luftleeren Raum oder in den Medien. Vielmehr sind sie ein Spiegel der Gesellschaft, der allerdings vom Zeitgeist beeinflusst wird. Verbote beseitigen selten die Gründe für unerwünschtes Gedankengut, sagen jedoch häufig mehr über die gesellschaftliche Befindlichkeit aus als der Mainstream. Aber auch dort wird Hitler - mehr oder weniger unfreiwillig - als eine Art Popstar inszeniert, dessen schillernde Faszination auch noch 60 Jahre nach Kriegsende für Kasse sorgt, sei es in einer Persiflage von Harald Schmidt, sei es in der Verkörperung durch Bruno Ganz. Zwar soll die Shoah als unvergleichliches Verbrechen in der Erinnerungskultur der Deutschen verankert werden, doch die "ewige Wiederkehr der Leichen" des Nazi-Regimes in den massenhaften Hitler-Docutainments etwa eines Guido Knopp können bei unbedarften Zuschauern auch eine andere Botschaft haben. Während dort Hakenkreuze allenthalben zur Schau gestellt werden, sind sie in anderen popkulturellen Zusammenhängen - z. B. Comics, Musik oder in den Neuen Medien - verboten. Die Grenzen der Freiheit verschwimmen auch hier.

So sind nicht nur Schüler bei rechtsextremen CDs wie die vom Amtsgericht Halle im August 2004 beschlagnahmte Kompilation "Anpassung ist Feigheit", die gratis auf Schulhöfen verteilt werden sollte, verunsichert. Häufig überfordert missliebige Musik - sei es rechte, sei es Rap/HipHop, der für Außenstehende oft als sexistisch, fremdenfeindlich und gewaltauffordernd interpretiert wird - auch Lehrer, die nach behördlichen Jugendschutzmaßnahmen verlangen. Anstatt sich mit den unzufrieden machenden Lebensumständen wie Arbeits- und Perspektivlosigkeit, Armut, schlechte Jugendarbeit, das Gefühl von Überfremdung in Brennpunkten, zu befassen, die solche Präferenzen begünstigen, oder Kritikfähigkeit und Medienkompetenz innerhalb der heterogenen Jugendkulturen zu fördern, sollen es Verbote richten, die in Zeiten des Internet eh obsolet anmuten. Das Delegieren an staatliche Behörden, die im Zweifel über die Grenzen entscheiden sollen, kann auch als Zeichen für Ratlosigkeit und Mangel an Zivilcourage interpretiert werden. Verstehende Pädagogik dürfte günstiger sein als reine Bewahrpädagogik. Jugendschutz sollte nicht nur ihnen und Juristen überlassen werden, sondern erfordert den Diskurs möglichst breiter Bevölkerungsschichten, die auch Vorbildcharakter haben können.

Fritz Stern meinte bei der Verleihung des Nationalpreises an ihn, wir sollten patriotische Gefühle nicht den Rechten überlassen. Ein unbehauster Patriotismus sei gefährlich, da aus ihm Nationalismus werden könne.

Begründete im weitesten Sinne "rechte" Themen, Haltungen und Sorgen (Vaterlandsliebe, Nationalstolz etc.) sollten nicht tabuisiert oder mit Redeverbot belegt werden, sonst spielt man sie den Falschen zu.

Medienkompetenz und Differenzierungsvermögen erlangt man aber nicht automatisch mit Erreichen der Volljährigkeit, sondern sie müssen erlernt und kultiviert werden. Der Verführungskraft nationalistischer Ideologien sollte weniger mit Verboten als vielmehr mit Aufklärung und sinnvollen Alternativen begegnet werden. Zu massiv und unreflektiert eingesetzte Verbote einer "wehrhaften Demokratie" könnten auch das für ihre Zwecke auszuschlachtende Vorurteil der Rechten schüren, bei Deutschland handle es sich um Obrigkeitsstaat, in dem die freie Meinungsäußerung beschnitten wird.

Bevor wir zur Diskussion kommen, möchte ich die beiden Positionen von Zensurgegnern und -befürwortern noch einmal pointieren: Erstere meinen, hier würden Sündenböcke dort bestraft werden, wo die Politik versagt hätte, Probleme wie Zuwanderung, Integration und Multi-Kulti-Gesellschaft in den Griff zu bekommen. Die Stücke würden das Gefühle von Überfremdung durch Immigranten, Spätaussiedler, Asylbewerber, Gastarbeiterkinder (lt. aktueller Bevölkerungs-studie haben in Ballungsgebieten 40% aller Kinder Immigrantenhintergrund) aus sowie eine Bedrohung auch durch islamistischen Terror ausdrücken.

Verbotsbefürworter hingegen sehen das friedliche Zusammenleben durch solche Hasstiraden in Gefahr und berufen sich nicht zuletzt auf die UN-Menschenrechts-konvention, wonach die Unterbindung von Rassenhass und Propaganda vom "Herrenmenschentum" mit dem Recht auf freie Meinungsäußerung vereinbar ist.

Meines Erachtens liegt die Grenze des Zumutbaren bei tatsächlich gewaltauffordernder, aggressiv ausländerfeindlicher Hass-Musik. Rechtsideologische Propaganda bzw. Volks-verhetzung kann nicht nur deshalb unter die Kunst- und Meinungsfreiheit fallen, weil Musik als eingängiges Träger-medium für ein Propagandadelikt verwendet wird, das auch in schriftlicher Form verboten wäre. Entgegen Marshall McLuhan ist das Medium hier nicht die Botschaft. Vor allem das antisemitische Leugnen historischer Tatsachen (sog. "Auschwitz-Lüge"), das Relativieren von Kriegsschuld und -gräuel, die Verherrlichung der NS-Ideologie, also Äußerungen, die das friedliche Zusammenleben massiv gefährden, braucht auch ein Rechtsstaat nicht hinzunehmen. Da die Zeitzeugen des Krieges so langsam wegsterben, müssen vor allem Pädagogen darauf achten, welches Bild dieser Zeit sich im Bewusstsein der nachwachsenden Generation verankert.

Wie schwierig die Grenzziehung ist, zeigt ein Blick in den Index: Dort stehen Bands wie "Fanta4", "Atari Teenage Riot" und "Die Ärzte" neben "Volkszorn", "Gestapo" und "Extreme Hatred". Ein und dasselbe Jugendschutzgesetz kann der Komplexität unerwünschter Musikinhalte wohl nicht gerecht werden. Es kommt auf die Einzelfallbetrachtung an. Im Unterricht wäre es z.B. sinnvoll, sich mal mit der kritischen Interpretation rechtsextremer Texte zu befassen, nicht zuletzt um ihre historisch falschen Inhalte zu entlarven.

Noch handelt es sich beim Rechtsrock um ein zahlenmäßig eher kleines und randständiges Phänomen. Achten wir darauf, dass es auch so bleibt. Zensur und Verbote alleine können das Problem m.E. nicht lösen.

 

Dr. Roland Seim

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